Seegrund
zog das Foto des Mannes heraus, den er am Alatsee gefunden hatte.
»Frau Wagner, es geht um einen Mann, dessen Identität nicht geklärt ist. Vielleicht kennen Sie ihn ja auch …«
Er beugte sich vor und gab ihr das Foto. Sie sah es kurz an, runzelte dann die Stirn und sagte: »Um Gottes willen, das ist ja der Christoph. Christoph Röck! Ihm ist doch hoffentlich nichts zugestoßen?«
Kluftingers Kiefer klappte nach unten. Er konnte nicht fassen, dass er einen solchen Zufallstreffer gelandet hatte.
16. Oktober 1980
Zwei der vier jungen Männer sahen sich grinsend an und schüttelten die Köpfe. Wo waren sie hier denn nur hingeraten? Einer von ihnen, Matthias, traute seinen Augen nicht. Sein Vater war immer ein so ernsthafter Mann gewesen. Hatte sich nie Zeit für seinen Sohn genommen. War nie mit ihm zum Angeln gegangen oder zum Bergsteigen. In den fünfundzwanzig Jahren seines Lebens hatte Matthias nur » keine Zeit « von seinem Vater gehört und gesagt bekommen, dass er zu viel Arbeit habe für solche Scherze. Schließlich sei das Leben kein Spielplatz, sondern harte Arbeit und Entbehrung. Zum Lachen ging sein Vater noch nicht einmal in den Keller, er tat es gar nicht, war Matthias überzeugt.
Und nun so etwas. Er wusste, dass sich sein Vater regelmäßig mit den alten Kameraden traf. Zum Gedankenaustausch. Vor ein paar Wochen nun war er zu ihm gekommen und hatte gesagt, für den heutigen Tag solle er sich nichts vornehmen. Da brauche er ihn. Als es soweit war, hatte sein alter Herr den Mercedes aus der Garage geholt und sie waren hierher gefahren. Als sie in das Kellergewölbe des alten Gasthofes hinuntergestiegen waren, hatte er gedacht, sie würden vielleicht in die Kegelstube gehen, doch der Vater öffnete die Tür daneben. » Privat « stand darauf. Die Tür führte in ein altes Kellergewölbe. Einige Männer waren bereits da, teilweise mit ihren Söhnen. Matthias kannte sie von Besuchen bei seinen Eltern. Die Wände des fensterlosen Raumes wurden von brennenden Kerzen beleuchtet.
Wie bei den Rittern der Tafelrunde, dachte der junge Mann.
Dann begann ein Mann zu sprechen, den er als Onkel Hans kannte, obwohl sie eigentlich gar nicht verwandt waren. Schwa felte etwas von Ehre und Treue. Lächerlich, fand Matthias.
Alles, was hier gesprochen werde, dürfe nie den Raum verlassen, sagte der Mann. Niemals. Das müssten die jungen Leute wissen. Wenn sie diesem Druck nicht standhielten, dann sollten sie jetzt besser gehen.
Als ihn sein Vater lächeln sah, wurde er wütend: Da gebe es nichts, weshalb man dumm lachen müsste. Eine ehrenhafte und todernste Sache sei das. Auch die anderen stimmten ihm zu und redeten ihren Söhnen ins Gewissen. Da änderte sich die Stimmung. Sie merkten, wie ernst es ihren Vätern wirklich war. Und dann senkten die Alten plötzlich die Stimmen und sprachen von einem Geheimnis. Ein Geheimnis, das sie heute erfahren sollten. Doch zuvor müssten sie schwören, wie sie es einst getan hatten.
Die Jungen schluckten, als die Alten sich erhoben.
Aufstehen, befahlen ihre Väter. Sie würden nun etwas Großes erfahren, jetzt, da sie endlich alt genug waren. Etwas, das größer war als sie, größer als sie alle, größer als sie es sich vorstellen könnten.
Matthias zitterten die Knie, als er sich langsam aus dem Stuhl erhob.
»Wie … wirklich, Sie … Sie wissen …«, stammelte er ungläubig.
»Ganz sicher! Der junge Mann ist der Sohn eines der besten Freunde meines Mannes. Christoph Röck aus Füssen. Sein Vater war Bankier mit eigenem Bankgeschäft und die letzten Jahre Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Ostallgäu. Er ist nach wie vor im Aufsichtsrat. Christoph ist sein einziger Sohn und er hängt sehr an ihm. Wissen Sie, er ist erst sehr spät Vater geworden. Sagen Sie, ist ihm etwas zugestoßen?«
»Er ist verletzt. Wir haben ihn gefunden und wussten nun lange nicht, wer …« Der Kommissar unterbrach seinen Satz, als der Aufzug sich knarrend in Bewegung setzte.
»Das wird mein Mann sein«, sagte Frau Wagner.
»Also, wir wussten lange nicht, wer er war«, vollendete Kluftinger seinen Satz. »Er liegt im Koma. Eigentlich ging es mir aber um das Musicaltheater in Füssen, das Ihr Mann entworfen hat. Kennen Sie sich damit auch aus?«
»Nein, da muss ich Sie enttäuschen. Für diese Projekte habe ich mich nie interessiert.«
In diesem Moment öffnete sich die Aufzugtür. Aus dem Fahrstuhl trat Tassilo Wagner, wie ihn ganz Kempten kannte, mit dunklem Cape und Hut.
»So,
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