Seehaie
sein, dass Plocs Brötchengeber
Schwarzarbeiter beschäftigt, oder?«
Jo kaute auf ihrer Unterlippe. »Stimmt. Wäre nicht das
erste Bauunternehmen, das sich mit dieser Masche die Bilanzen vergoldet.«
»Ist diese Schlussfolgerung nicht ein bisschen
verfrüht?«, meldete Kalfass Zweifel an. »Bis jetzt geht es doch lediglich um
einen simplen Selbstmord.«
»Sagen Sie mal, Chef: Weshalb sind Sie eigentlich noch
einmal zur Ploc gefahren?«, wechselte Jo das Thema.
»Hohmanns Bemerkung über das unentschuldigte Fehlen
seines zweiten Fahrers hat mir zu denken gegeben. Zwei Männer, die im gleichen
Laden arbeiten, vielleicht sogar befreundet sind, verschwinden am selben Tag –
das kann kaum Zufall sein. Darum wollte ich die Ploc nach dem Verhältnis ihres
Mannes zu seinem Kollegen Yosip fragen.«
»Yosip? Etwa ein Kroate?«, fragte Kalfass überrascht.
»Ja. Warum?«
»Haben Sie den Artikel im ›Seekurier‹ nicht gelesen?«
»Ich lese so gut wie nie Zeitung. Um was ging es da?«
Jo ging zu ihrem Tisch und holte die Ausgabe her.
Plötzlich wusste Wolf, was Kalfass meinte: den Todesfall auf der Meersburger
Fähre. Er hatte den Artikel lesen wollen, ihn dann aber vergessen.
»Der Tote heißt Yosip Juratovic, vor fünf Jahren aus
Kroatien emigriert«, sagte Kalfass.
»So viel zu meinem Gefühl«, brummte Wolf und erhob
sich.
»Ihr Kaffee, Chef.«
»Keine Zeit. Auf geht’s, Jo, wir müssen los.«
Sie waren bereits auf der Treppe, als Wolf noch einmal
umkehrte. »Ganz wichtig, Ludger: Versuche rauszukriegen, was die Konstanzer
Kollegen über diesen Todesfall wissen. Ich will alles haben, die kleinste Kleinigkeit
kann wichtig sein, hörst du? … Ach ja, noch was: Vielleicht läßt sich der
Halter des Handys ermitteln, mit dem man uns Plocs Tod gemeldet hat? Könnte ein
wichtiger Zeuge sein.«
***
Die
neue Adresse der Ploc führte Wolf und Jo zu einem Wohnblock der eher
schlichteren Art im Norden Weingartens, mit Blick auf das Industriegebiet. Auf
keinem der Klingelschilder stand ihr Name, allerdings waren zwei der Felder
leer. Jo drückte auf das erste.
»Guten Tag, wir möchten gerne zu Frau Ploc«, rief sie
in die Sprechanlage.
»Ploc? Wer soll das sein?«
Jo entschuldigte sich und betätigte die zweite
Klingel.
Nichts rührte sich.
Ehe sie es ein zweites Mal versuchen konnte, wurde sie
von Wolf in die Seite gestupst. »Schau mal, wer da kommt!«, sagte er halblaut.
Obwohl die Frau nur noch wenige Schritte entfernt war,
hätte er sie fast nicht wiedererkannt. Wirkte sie vor zwei Tagen noch wie eine
abgearbeitete, vorzeitig gealterte Endfünfzigerin aus der tiefsten Provinz, so
hätte sie jetzt beinahe als adrette Städterin in den Vierzigern durchgehen
können. Sie war modisch frisiert, trug ein recht passables, offensichtlich
neues Sommerkleid, dazu eine schicke lindgrüne Umhängetasche. Vor allem aber
hatte sie ihre antiquierte Hornbrille abgelegt, vermutlich im Tausch gegen
Kontaktlinsen.
Auch Jo war für einen Moment sprachlos; diese
Metamorphose musste sie erst verdauen.
Noch überraschter aber war die Ploc. Sie erstarrte
förmlich, als sie die beiden Polizisten sah. »Sie … Sie hier?«, stotterte sie.
Es war unübersehbar, dass sie am liebsten das Weite gesucht hätte. »Woher
wissen Sie …?«
»Sie sind uns eine Erklärung schuldig, Frau Ploc.«
Wolf wollte den Überraschungseffekt nutzen und schnell auf den Punkt kommen.
»Wo können wir uns unterhalten?«
»Ich … weiß nicht …« Sie stotterte erneut.
»Wäre es Ihnen lieber, wenn wir Sie aufs Präsidium
nach Überlingen mitnehmen?«
Ängstlich sah sie sich um. Das Gespräch war ihr mehr
als unangenehm. »Also gut«, lenkte sie schließlich ein. »Kommen Sie.«
Ihre Wohnung lag im zweiten Stock. Dort erlebten sie
eine weitere Überraschung: Die Zimmer – vier an der Zahl, wie Wolf mit einem
schnellen Rundblick feststellte – waren komplett eingerichtet, obendrein mit
viel Geschmack. Komisch: Hatte die Nachbarin in Ludwigshafen nicht von »altem,
schäbigem Krempel« gesprochen, als sie Plocs Hausrat erwähnte? War der auf den
Müll gewandert? Das hier war jedenfalls kein Krempel, und die Ploc konnte das
unmöglich in zwei Tagen zusammengekauft haben. Also hatte sie die Wohnung
möbliert gemietet. Von wem? Und woher hatte sie das Geld?
»Frau Ploc, wir wüssten gerne, warum Sie nach
Weingarten gezogen sind, und vor allem: warum so plötzlich ?
Ihr Mann ist ja noch nicht einmal begraben«, eröffnete Wolf die
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