Seehaie
Herr
Hauptkommissar«, begehrte der Angesprochene auf.
Mit einer Geschwindigkeit, die Jo ihm niemals
zugetraut hätte, schoss Wolf auf Kalfass’ Schreibtisch zu und bellte: »Machen
wir jetzt Dienst nach Vorschrift oder was?« Und als Kalfass sich keineswegs
eingeschüchtert zeigte: »Dann beschaffen Sie mir wenigstens bei der
Fahrbereitschaft einen Wagen. Oder stehen derlei niedere Dienste auch nicht in
Ihrem Vertrag, Herr Kollege?«
Wenn Wolf seine Mitarbeiter siezte und mit » Herr Kollege« anredete, war Gefahr im Verzug, das wussten
beide aus Erfahrung. Wortlos griff Kalfass zum Telefon. Ebenso wortlos stand Jo
auf und ging zur Kaffeemaschine.
Zehn
Minuten später kam Wolf erneut aus seinem Büro und tat, als ob nichts gewesen
wäre. Mehr oder weniger beiläufig ließ er fallen, er sei »für eine Stunde oder
so« unterwegs.
»Wo kann man Sie erreichen? Nur für den Fall, dass
Kriminalrat Patzlaff nach Ihnen verlangt«, wollte Jo wissen.
»Ich möchte noch einmal mit Frau Ploc reden. Frag mich
nicht, warum. Es ist nur so ein Gefühl.«
Jo zeigte sich verwundert. »Bleibt es trotzdem dabei,
dass wir keine kriminaltechnische Untersuchtung veranlassen?«, fragte sie
zögernd.
»Es bleibt dabei, keine KTU .
Vorerst!« Er verließ den Raum, kehrte jedoch nach wenigen Schritten noch einmal
um. »Wenn ich zurück bin, erwarte ich deinen Bericht über den Rumänenfall,
Ludger.« Sprach’s und enteilte.
Bevor Wolf in das bereitgestellte Fahrzeug stieg, ging
er noch zum nahe gelegenen Kiosk, um Zigaretten zu besorgen und Frau Schirmer
Guten Morgen zu sagen. Er kannte die Betreiberin des Kiosks seit Jahren und
wusste, dass sie einen schwer kranken Mann zu Hause hatte. Nach einigen
aufmunternden Worten und einem freundschaftlichen »Servus« verabschiedete er
sich. Dabei blieb sein Blick an der Titelseite des »Seekurier« hängen.
»Tödliche Herzattacke auf der Bodenseefähre« las er. Er ging noch einmal zurück
und kaufte das Blatt. Zwar wurde seine Dienststelle von Ereignissen dieser Art
nicht tangiert, aber es interessierte ihn, was dahintersteckte. Mitunter
ergaben sich aus solchen Todesfällen, zumal auf einer Fähre, die verwickeltsten
Kriminalfälle.
***
Es
ging gegen neun, als Wolf vor Plocs Haus eintraf. Er läutete an der
Gartenpforte – einmal, zweimal, dreimal. Wie am Vortag rührte sich nichts. War
Frau Ploc wieder Erdbeeren pflücken? Er öffnete die Pforte und ging zum Haus
hoch, um einen Blick durch die Fenster zu werfen.
Die Räume hinter den Gardinen wirkten seltsam leer.
Gerade wollte er zu seinem Wagen zurückgehen, da bemerkte er die Nachbarin vom
Vortag.
»Sie wollen wieder zur Ploc, stimmt’s?«, rief sie
schon von weitem. »Da haben Sie Pech.«
»Ich nehme an, sie ist in den Erdbeeren?«
»Nein. Weggezogen.«
Wolf meinte, sich verhört zu haben. »Sie meinen
einkaufen oder so.«
Sie sah ihn an, als zweifle sie an seinem Verstand.
»Wenn ich weggezogen sage, meine ich weggezogen. Gestern abend kam ein Möbelwagen
und hat den ganzen schäbigen Krempel der Plocs aufgeladen. Aus, weg,
verschwunden.«
»Sie müssen sich irren. Wir haben gestern am frühen
Nachmittag noch mit ihr gesprochen, da war keine Andeutung von Wegziehen oder
Verreisen.«
»Glauben Sie’s oder glauben Sie’s nicht.« Als wäre das
Gespräch damit beendet, drehte sie sich um und wollte weggehen.
»Moment, gute Frau, ich glaube Ihnen ja. Haben Sie
mitgekriegt, wo sie hingezogen sein könnte?«
»Mitgekriegt … was heißt mitgekriegt? Die Ploc redet
ja nicht mit unsereins!« Während Wolf noch dachte, dass es sich wohl gerade
andersrum verhielt, ließ die Frau ein selbstgefälliges Kichern hören. »Aber ich
hab’s trotzdem rausbekommen. Hab einem der Männer ein Bier spendiert, da hat er
mir die Adresse verraten.«
»Könnten Sie sie mir bitte aufschreiben?«
»Ich weiß nicht …«, zierte sie sich.
»Wäre es Ihnen lieber, wenn ich Sie nach Überlingen
vorladen lasse?«, fuhr Wolf sie heftiger an, als er wollte.
Die Frau erschrak sichtlich. »Vorladen? Um Gottes
willen! Da würden sich die Leute aus der Siedlung ja die Mäuler zerreißen.« Ihr
Gesicht nahm einen leicht verschlagenen Eindruck an. »Sie wollen mir wohl nicht
sagen, was eigentlich bei den Plocs los ist?«
Nun war es mit Wolfs Geduld endgültig vorbei. »Die
Adresse!«, bellte er.
Wie der Blitz huschte die Frau ins Haus und kam mit
einem Zettel wieder. Wenn das, was da draufstand, stimmte, dann war Frau Ploc
gestern nach Weingarten
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