Seehaie
Wolfs Vorgesetzter, gestern Abend einen
detaillierten schriftlichen Bericht verlangt, vorzulegen heute, zehn Uhr. Das
war knapp, verdammt knapp sogar. Kein Wunder also, dass Wolf in der Nacht von
Alpträumen geplagt worden war. Was weniger am Zusammentragen und Ordnen der
Fakten lag – und schon gar nicht daran, aus diesen Fakten logische Schlüsse zu
ziehen. Das tat er sozusagen mit links, gehörte das Erstellen von Berichten
doch seit mehr als dreißig Jahren zu seinem beruflichen Alltag.
Nein, es war der Umgang mit dem neuen PC , diesem gottverdammten Blechtrottel, der jede
Sekunde für eine andere Überraschung gut war und sich in kürzester Zeit zu
einem Aggressor ersten Ranges entwickelt hatte. Wolf wurde das Gefühl nicht
los, dass der Kasten sich ständig neue Bosheiten gegen ihn ausdachte. Das fing
damit an, dass die Darstellung seines Textes auf dem Bildschirm erheblich von
der ihm vertrauten Form abwich; der Drucker weigerte sich hartnäckig, auch nur
ein einziges Blatt Papier auszuspucken; eine Reihe von Tasten war plötzlich mit
anderen Zeichen belegt, und die drahtlose Maus reagierte empfindlicher als ein
Seismograf.
Gott sei Dank hatten sich bei jeder Panne schnell
hilfreiche Geister gefunden, die binnen Kurzem und mit bemerkenswerter Gelassenheit
jeden Knoten entwirrten und ihn in dem Glauben zu bestärken suchten, das gehe
schließlich allen so. Er wusste es besser: Ihm fehlte die richtige Denke. Für
so was war er schlicht und einfach zu alt.
Wolf speicherte das bisher Geschriebene und sah auf
die Uhr. Gerade mal sieben. Noch war keiner seiner Leute da. Nachdenklich
steckte er sich eine seiner filterlosen Gitanes an, doch schon nach wenigen
Zügen drückte er sie wieder aus. Seine Gedanken kreisten um die ungeklärte
Brandserie.
Fakt war, dass sie es bisher mit drei Bränden zu tun
hatten. Genauer gesagt: mit drei Brandstiftungen. Denn sowohl bei der
strohgefüllten Scheune in Aufkirch als auch bei den beiden Fabrikgebäuden in
Überlingen und Nußdorf war Manfred Schönwald, der als Vertreter des Brandsachverständigen
Gerlach in dessen Abwesenheit die Untersuchungen führte, auf Brandbeschleuniger
gestoßen. Auch wenn der junge Schönwald erst wenige Jahre bei der Feuerwehr
war, hielt Gerlach offenbar große Stücke auf ihn. Zu Recht, wie Wolf fand. Schönwald
hatte seinen Vorgesetzten, der wegen eines Beinbruchs für etwa sechs Wochen
ausfiel, bislang kompetent vertreten.
In keinem der Fälle waren Personen betroffen,
allerdings hatte es erheblichen Sachschaden gegeben, insbesondere bei dem
holzverarbeitenden Betrieb in Nußdorf. Dort hatte der Brand zu einer
Verpuffungsexplosion geführt, sodass am Ende das gesamte Gebäude bis auf die
Grundmauern niederbrannte.
Auffallend war, dass alle drei Brände von außen gelegt
worden waren. Sie hatten es also aller Wahrscheinlichkeit nach mit einer
Brandserie zu tun. Und noch etwas hatte Wolfs Aufmerksamkeit erregt: Stets
führte eine gute Straßen- oder Wegverbindung am Brandort vorbei – und dennoch
ließ sich in keinem der drei Fälle ein Zeuge finden. Daraus schloss Wolf
zweierlei. Erstens: Der Täter hielt sich nie lange an den Tatorten auf.
Zweitens: Er war motorisiert und musste über Ortskenntnis verfügen.
Das Klingeln des Telefons riss Wolf aus seinen
Gedanken. Unwillig blickte er aufs Display. Der Chef! Was war so dringend, dass
Sommer nicht bis zehn Uhr warten konnte? Wolf nahm ab und meldete sich.
»Gut, dass du da bist, Leo. Können wir uns gleich
sehen?«, dröhnte es aus dem Hörer.
»Gib mir zwei Minuten«, antwortete Wolf und legte auf.
Wer weiß, dachte er, vielleicht würde er Sommer bei dieser Gelegenheit den
schriftlichen Bericht ausreden können. Die Schreibtischarbeit nach Abschluss
eines Falles war ein notwendiges Übel. Während der Ermittlungsarbeit waren ihm
solche Aufgaben jedoch mehr als lästig.
Nur flüchtig blickte er im Vorübergehen auf den
aufgeräumten Schreibtisch der ebenfalls noch nicht anwesenden Chefsekretärin
Hannelore Bender, ehe er an Sommers Tür klopfte und sie, ohne das
obligatorische »Herein« abzuwarten, öffnete. Er konnte sich das leisten, seit
Urzeiten waren er und Sommer befreundet.
»Setz dich, Leo. Kaffee?«, begrüßte Sommer seinen
Freund.
»Immer. Aber erst möchte ich wissen, was anliegt.«
Sommer schenkte ein. »Ich bin für neun Uhr nach
Tübingen bestellt, deshalb müssen wir unser Gespräch vorziehen. Tut mir leid,
Leo.«
»Jetzt sag nicht, dass du den Bericht sofort
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