Seehaie
der stählerne Aussichtsturm ins Bild. Dann fuhren sie eine Kuppe
hoch, die Hohmanns Wagen vorübergehend ihren Blicken entzog. Als das
Polizeifahrzeug über die Kuppe schoss, war die Straße vor ihnen leer. Der
Cayenne war wie vom Erdboden verschluckt. Wie war das möglich? Vor Aufregung
konnte Preuss das Polizeifahrzeug nur mit Mühe auf der Straße halten.
Marsberg entdeckte Hohmann als Erster. Eingehüllt in
eine Staubwolke schlingerte der Cayenne mit Vollgas einen Feldweg entlang, der
scharf links von der Straße in Richtung Aussichtsturm abzweigte.
Was hatte Hohmann vor? Ahnte er nicht, dass seine Lage
damit immer aussichtsloser wurde? Oder war dieses Manöver Teil eines Plans,
dessen Sinn sich ihnen noch verschloss? Wie dem auch sei, sie mussten ihm auf
dem Feldweg folgen, wollten sie den schwarzen Cayenne nicht aus den Augen
verlieren.
Unweit des Turms stand eine Gruppe hoher Buchen, unter
denen normalerweise Besucher parkten. Hohmann jedoch war direkt zum Turm
gefahren und hatte seinen Wagen vor dem Treppenaufgang abgestellt, unmittelbar
neben einer Hütte, die bei Regen als Unterstand diente. In der Hast hatte er
die Fahrertür offen gelassen. Als Preuss unmittelbar hinter dem Cayenne
stoppte, befand sich der Bauunternehmer bereits in etwa fünfzehn Metern Höhe.
Mit einem langen Gegenstand in der Hand stieg er, zunehmend langsamer werdend,
die Stufen weiter hinauf. Nun kletterten auch die Polizisten aus dem Wagen.
Zum ersten Mal seit langer Zeit sah Wolf das Bauwerk
aus der Nähe wieder: eine gut dreißig Meter hohe, filigrane Stahlkonstruktion,
deren Besteigung sicher eine Portion Schwindelfreiheit erforderte, mit je einer
Aussichtsplattform in der Mitte und ganz oben. Warum war Hohmann da
raufgestiegen? Auf diese Weise hatte er sich selbst in eine Sackgasse
manövriert.
Schnell hatten sie sich darauf verständigt, ihm zu
folgen. Sie mussten ihn zum Absteigen bewegen, und das hieß, das Gespräch mit
ihm suchen.
Wolf ging voran. Sie hatten gerade mal die ersten
Stufen bewältigt, da krachte ohne Vorwarnung von oben ein Schuss. Eine
Schrotladung rauschte in das Blätterdach der nächststehenden Buche.
»Bleiben Sie unten. Das nächste Mal schieße ich
gezielt«, rief Hohmann. Also war der lange Gegenstand, den er mit auf den Turm
geschleppt hatte, ein Gewehr gewesen, dem Klang nach eine Doppelbockbüchse.
»Herr Hohmann, seien Sie doch vernünftig. Wir wollen
nur mit Ihnen reden«, rief Wolf nach oben.
Erneut krachte ein Schuss. Diesmal prasselten die
Schrotkugeln in unmittelbarer Nähe auf die Metallstreben des Aussichtsturms.
»Ich warne Sie! Gehen Sie zurück, weg vom Turm. Ich will Sie unten stehen
sehen.«
»Wollen Sie, dass wir uns hier eine Schießerei
liefern? Seien Sie doch vernünftig. Ich verspreche Ihnen …«
Weiter kam Wolf nicht. Hohmann schoss zum dritten Mal,
diesmal genau in ihre Richtung. Glücklicherweise standen sie nicht direkt in
seinem Schussfeld, doch auch so war das Sirren der Schrotkörner und der
unzähligen Querschläger auf dem Metall mehr als unangenehm.
»Zurück und hinter die Hütte, die gibt uns Deckung«,
rief Marsberg. Von dort aus konnte Wolf in geringer Entfernung zwei Autos
erkennen, wahrscheinlich Touristen, die sich auf die Knallerei keinen Reim
machen konnten und vorsichtshalber mal stehen geblieben waren.
Wolf konnte Hohmanns Verhalten beim besten Willen
nicht nachvollziehen. Es war ihm schleierhaft, wie sich der Bauunternehmer aus
dieser selbst verschuldeten Situation herausmanövrieren wollte. Hier auf dem
Turm war seine Flucht unwiderruflich zu Ende.
Und noch etwas ging Wolf durch den Kopf: War es
möglich, dass Hohmann von seiner bevorstehenden Festnahme gewusst hatte? Seine
Flucht deutete darauf hin. Doch wo war die undichte Stelle?
Wenig später ertönten von der Straße her
Polizeisirenen. Zwei Wagen mit Blaulicht tauchten auf und bogen in den Weg zum
Turm ein. Marsberg, der die Verstärkung herbeigerufen hatte, rannte ihnen mit
wedelnden Armen entgegen, den schießwütigen Hohmann ignorierend. Er wollte die
Kollegen in sicherem Abstand zum Stehen bringen.
Inzwischen hatte Hohmann zwei Drittel der Höhe
bewältigt. Die gesteigerte Polizeipräsenz schien seine Panik noch zu
verstärken. Erneut nahm er, das Gewehr im rechten Arm, eine Treppe in Angriff,
kletterte Stufe um Stufe höher, hielt sich mit der Linken am Geländer fest und
schaute dabei immer wieder nach unten.
Mit einem Mal glitt er aus und verlor das
Gleichgewicht. Für
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