Seehaie
stehen und sahen sich gegenseitig an. Schließlich griff Jo in ihre
Tasche und holte den Störenfried heraus. Während des kurzen Gesprächs nickte
sie hin und wieder, sagte mehrfach »Aha« und »Verstanden« und versprach
schließlich, sie seien in wenigen Minuten vor Ort.
Danach sah sie schuldbewusst zu Wolf auf. »Ich bin
noch gar nicht dazu gekommen, mit Ihnen darüber zu reden, Chef, aber ich hab
mir gedacht, es könnte nicht schaden, einmal den vermissten Architekten … also
den Zeitpunkt der Vermisstenmeldung … beziehungsweise wo genau an diesem Tag
ein Betonfundament …«
»Jo, das ist es!«, rief Wolf und fasste sich ein
weiteres Mal an den Kopf. Einige Passanten wurden bereits aufmerksam.
»Äh … ich versteh nur Bahnhof«, stotterte Kalfass.
»Das liegt doch auf der Hand! Herrgott noch mal, ich
glaube, langsam werde ich senil.«
»Würde mich bitte schön mal jemand aufklären?«,
forderte nun Kalfass lautstark und rückte seine Brille zurecht.
»Es ist so«, sagten Jo und Wolf wie aus einem Munde.
Beide sahen sich an und lachten.
»Also, die Überlegung war ganz einfach«, erläuterte Jo
auf eine einladende Bewegung von Wolf hin. »Ich habe Marsberg nach dem Datum
gefragt, an dem Stiller als vermisst gemeldet wurde. Daraufhin habe ich die
Bauleitung in Konstanz angerufen und um Feststellung gebeten, an welchen
Fundamenten an diesem Tag gearbeitet wurde. Man nannte mir ein Treppenhaus in
einem Verbindungstrakt zwischen zwei Gebäudeflügeln. Und genau dort haben heute
früh die Betonspezialisten mit unseren Kriminaltechnikern zusammen eine Kiste
aus dem Fundament geholt. Dreimal darfst du raten, was drin war?«
Das
Bild in besagtem Treppenhaus glich dem in der Tiefgarage: staubige Luft, ein
Berg aus Betonbrocken, davor ein größeres Loch. Vor dem Loch wiederum stand
eine längliche Holzkiste.
»Würde ich dir nicht raten«, sagte einer der
Kriminaltechniker, ein dynamischer Enddreißiger, als Wolf Anstalten machte, den
Deckel zu heben. »Oder kannst du den Mann identifizieren?«
Wolf schüttelte den Kopf. »Lässt sich schon etwas zur
Todesursache sagen?«
»Du bist gut! Hier auf der Baustelle? Da musst du dich
schon gedulden. Die Leiche mitsamt Sarg … äh, Kiste … wird zur
gerichtsmedizinischen Untersuchung nach Überlingen geschafft. Aber vor morgen
Mittag brauchst du mit dem vorläufigen Bericht nicht zu rechnen.« Damit wollte
er das Gebäude verlassen.
»Wetten, dass ich den Bericht um neun Uhr auf dem
Tisch habe?«
Der Mann hielt mitten in der Bewegung inne. Langsam
drehte er sich um. »Wer sagt das?«
So viel Selbstgefälligkeit brachte Wolf zum
Explodieren. »Ich, verdammt noch mal«, brüllte er. »Morgen früh um neun wird
der Hauptverdächtige vernommen, und wehe, dein vorläufiger Untersuchungsbericht
fehlt. Dann kannst du dir einen neuen Job suchen, dafür werde ich
höchstpersönlich sorgen – geht das in dein Hirn rein?«
Dem Mann fiel die Kinnlade herab. So war offensichtlich noch niemand mit ihm umgesprungen! Man sah ihm an der
Nasenspitze an, was er dachte: Dieser komische Heini mit dem schief sitzenden,
speckigen Barett – was wollte der eigentlich? Was hatte so einer bei der
Polizei zu suchen, noch dazu in diesem Alter? Dem sollte mal einer ordentlich
vors Schienbein treten und ihn dann ins Altenheim schicken! Doch Wolf kannte
seine Pappenheimer: Wenn er so selbstsicher auftrat wie gerade eben, steckten
die meisten zurück. Man konnte schließlich nicht wissen, über welche
Verbindungen er so verfügte. Wie erwartet machte sich der Kriminaltechniker
ohne weitere Diskussion vom Acker.
Schon einen Augenblick später hatte Wolf ihn wieder
vergessen. Wieso, überlegte er, lag Stiller in einer Kiste und nicht in einem
Fass? Wäre doch logisch, wenn ihn die Giftmüllgangster auf dem Gewissen hatten.
Oder konnte man daraus schließen, dass Stillers Mörder einem ganz anderen Kreis
angehörte? Und wenn ja, welchem?
»Jetzt weiß ich endlich, was ein italoamerikanisches
Fundament ist«, unterbrach Jo seine Gedanken, während sie einen Blick in das
Loch riskierte. Als sie die fragenden Gesichter ringsherum sah, erläuterte sie:
»Ihr kennt den Ausdruck nicht? Auf diese Weise hat sich die Mafia in Chicago
missliebige Personen vom Hals geschafft. Soll dort eine Zeit lang große Mode
gewesen sein …«
***
Am
Abend hatte sich Wolf gerade einen Pastis eingeschenkt und war auf dem Weg zum
Fernseher, da schellte sein Telefon. Widerwillig ging er dran.
»Mein lieber
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