Seehaie
Leo, entschuldige, falls ich dich geweckt
haben sollte. Aber acht Uhr schien mir durchaus noch angemessen, um einen alten
Freund zu stören.«
»Wie kommst du darauf, dass du störst, Ernst? Wo bist
du überhaupt?«
»Wieder mal in Überlingen. Gerade angekommen. Ein,
zwei Tage werde ich hierbleiben. Aber keine Angst, heute will ich dich nicht
mehr entführen, du kannst dich sofort hinlegen.«
»Ich will mich aber nicht hinlegen, verflixt noch mal …«
»Vielleicht können wir uns morgen treffen?«, fuhr
Sommer ungerührt fort. »Ich rufe dich am Nachmittag im Büro an, dann
vereinbaren wir was. Ist das in Ordnung?«
»Warum bist du hier, Ernst?«
»Es gibt einiges zu erledigen.«
»Dienstlich?«
»Dienstlich und privat. Warum fragst du?«
»Weil ich einen gewissen Verdacht habe. Könnte es
sein, dass dein Besuch mit unserem Fall zusammenhängt?«
»Du kannst Fragen stellen …«
»Entschuldige, aber die Frage ist ganz einfach: Hat
dein Besuch mit unserem Fall zu tun? Darauf kann man nur mit ›Ja‹ oder ›Nein‹
antworten. Also?«
Sommer zögerte eine Sekunde zu lange.
»Okay, das reicht«, sagte Wolf. »Aber eins sage ich
dir: Dafür brauchst du morgen eine verdammt gute
Erklärung. So, und jetzt möchte ich fernsehen. Ruf mich an. Gute Nacht!«
»Moment, Leo, eine Frage hätte ich noch. Du willst dir
doch morgen diesen Starek vorknöpfen …«
»Gute Nacht, Ernst.«
29
Um Viertel vor neun trafen sich Wolf und
Marsberg im größeren der beiden Vernehmungszimmer. Während Wolf sich um das
Aufnahmegerät kümmerte, rückte Marsberg umständlich seine Unterlagen zurecht.
Irgendwann wurde Wolf das Hin-und-her-Geschiebe zu
bunt. »Rolf, das macht mich nervös.« Ein kurzer Seitenblick auf Marsberg zeigte
ihm, dass der dem Papier ohnehin keine Beachtung schenkte. »Du hast doch was
auf dem Herzen, Rolf. Spuck’s aus, ehe unser Gast kommt.«
»Es ist wegen Patzlaff. Er ist im Haus. Müssten wir
nicht …«
»Du hast recht: Eigentlich müssten wir. Aber wir werden nicht. Patzlaff wird erst
hinterher informiert – wenn überhaupt. Das nehm ich auf meine Kappe. Ich hab
meine Gründe, glaub mir.«
»Ich hoffe, du weißt, was du tust, Leo«, seufzte
Marsberg.
»Tja«, antwortete Wolf etwas kleinlaut und ging zu
seinem Stuhl, »so ganz genau weiß ich’s eben auch nicht. Ich vertraue wieder
mal meinem Gefühl, allerdings liege ich damit selten schief. Außerdem – was
soll mir schon passieren?«
Jetzt lachte Marsberg. »Du meinst, lieber ein Ende mit
Schrecken …«
»… als ein Schrecken ohne Ende. Richtig! So, wir
können.«
Ohne ein weiteres Wort griff Marsberg zum Hörer. »Ihr
könnt Starek reinbringen.«
Kurz darauf klopfte es an der Tür. Auf ein
zweistimmiges »Herein« schob ein uniformierter Beamter Starek in den Raum.
»Danke, Kollege. Nimm ihm bitte die Handschellen ab …
So, Herr Starek, bitte nehmen Sie dort Platz. Sind Sie damit einverstanden,
dass wir die Befragung auf Band aufnehmen?«
»Befragung ist gut«, antwortete Starek mürrisch. »Und
was soll die scheinheilige Frage? Hab ich eine Wahl?«
»Gönnen Sie uns halt diese Annehmlichkeit. Für Sie
macht es keinen Unterschied, uns aber erspart es eine Menge Schreibarbeit.«
»Ich bin selbst schuld! Hätt ich doch nur meiner Mami
gehorcht und wäre auch Beamter geworden.« Stareks Stimme troff vor Sarkasmus.
»Sie wollen immer noch keinen Anwalt?«, begann Wolf
unbeeindruckt.
»Nein, will ich nicht. Im Übrigen orientiere ich mich
anwaltsmäßig gerade neu.«
»Fühlen Sie sich von Dr. Hayder nicht mehr gut
vertreten?«
Marsbergs Kopf fuhr hoch. Darüber war vorher nicht
gesprochen worden. Wolf hatte wieder mal einen Schuss ins Blaue riskiert – mit
sichtbarem Erfolg, wie Stareks verblüffter Gesichtsausdruck verriet.
»Lassen Sie Hayder aus dem Spiel«, winkte er ab.
Doch Wolf war bereits beim nächsten Punkt. »Ich habe
hier«, dabei hielt er ein Blatt hoch, »eine Auflistung der Beschuldigungen, die
wir gegen Sie vorbringen. Wohlgemerkt nur die, die wir Ihnen bis jetzt auch
nachweisen können.«
»Oh, ich sehe, die Herren Beamten waren fleißig. Recht
so, tun Sie was für Ihr Gehalt.«
»Beginnen wir mit den bekannten Fakten: Sie haben vor
vier Tagen auf der Großbaustelle in Konstanz den Kriminalobermeister Kalfass
und den Architekten Kronberger mehrfach bedroht und dabei deren möglichen Tod
billigend in Kauf genommen …«
»Mein Gott, das hatten wir doch schon.«
»… und dafür haben wir
Weitere Kostenlose Bücher