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Seehamer Tagebuch

Seehamer Tagebuch

Titel: Seehamer Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
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Gummiband, das mich mit zu Hause verbindet, ich schwebte frei, dem Neuen zugewandt. Vielleicht allzusehr zugewandt. Von Zeit zu Zeit nahm ich mir vor, nur fünf Minuten lang die Augen zuzumachen. Es waren aber immer nur anderthalb. Alles war so schön und interessant. »Drum trinke, Auge, was die Wimper hält...« Was tun, wenn gegen Abend die Wimper nichts mehr hält? Sehr langsam, gemeinsam schweigend, durch den Ort des erwählten Nachtquartiers gehen und den Abend nur mehr als Schattenspiel wahrnehmen, hilft meistens.
    Donnerwetter, wie jaulten die Katzen nachts um das kleine Hotel! Gar nicht wie Katzen, sondern so, wie ein Komiker es nachahmen würde.
     
     
     

21. Juli
     
    Wie kann man die Po-Ebene langweilig nennen, diesen riesigen sanft-grünen Garten. Mir liegt eben das Heroische weniger — auch bei Landschaften. Die Kurven des Apennin empfand ich besonders stark, weil mir schon morgens in Bergamo der Plastikverschluß meiner Sonnenölflasche zerbrochen war. In den Koffer legen konnte ich sie nicht mehr, und im Handschuhkasten fuhr sie bei jeder Kurve hin und her. Danach hielt ich sie in der Hand, aufrecht, um zu verhindern, daß das Öl in den Wagen floß.
    Etwa bei Genua fand Michael, man merke doch, daß meine Urahnin Schottin gewesen sei. (Arme Isabella Euphemia, so tapfer und so zäh, die 1812 den Brand Moskaus überstanden hat — ihrer wird nur gedacht, wenn ich mich gegen offensichtliche Materialverschwendung auflehne!)
     
     
     

22 . Juli
     
    Das Mittelmeer hatte von oben nicht nur sehr blau, sondern auch sehr ruhig ausgesehen. Nachts hörte man dann doch Brandung, so daß mein Mut wieder schwand. Man hörte auch sonst eine Menge. Das einzige Quartier, das wir an dieser überfüllten Riviera noch hatten bekommen können, lag über einer Garage mit Nachtbetrieb, wenige Schritte von der Eisenbahnstrecke Genua-Nizza. (Sehr dichte Zugfolge!) Die Wohnungsinhaber ließen die Tür zum Treppenhaus und sämtliche Zimmertüren offen, und mehrere Familien setzten sich, des geringen Luftzuges wegen, in den Korridor und draußen auf die obersten Treppenstufen. Auf dem Weg ins Badezimmer bekam man einen guten Überblick über die gängigsten Typen des italienischen Volkes.
    Die Nacht war so laut und heiß, als hätten wir uns an einer belebten Straßenkreuzung neben einer Teer-Kochmaschine schlafen gelegt. An den Süden, sagte Michael tröstend früh um 3 Uhr, müsse man sich immer erst gewöhnen (Wie liebenswürdig er noch immer war, wo ich ihm schon mindestens dreimal nach innen rollend im Doppelbett ins Gesicht gefallen war. Diese italienischen Betten...)
     
     
     

23. Juli
     
    Dem Datum in unseren Eheringen nach sind wir heute zwanzig Jahre verheiratet, der Eintragung im Register der Gemeinde nach waren wir es schon gestern. So bleibt denn diese Diskrepanz als ewiges Denkmal für die damaligen dörflichen Hochzeitshindernisse bestehen. Zwei Tage sind dem Alltag entrissen, an denen wir einen legitimen Grund haben, besonders lieb zueinander zu sein. Vor zwanzig Jahren wurde uns, außer silbernen Obstaufsätzen und anderem Unnötigem ein alter Ehevertrag geschenkt, der etwa 1800 zwischen einem gewissen Ferdinand und seiner Louise geschlossen war. Artikel fünf besagt, daß sich die Gatten »einander stets in wohlanstehender Bekleidung darstellen wollen«. Es ist wahrscheinlich derjenige, den ich am meisten verletzt habe. Ob allerdings Michael bemerkt hat, daß ich verschiedene Strümpfe anhabe (die jeweils übriggebliebenen Brüder von Laufmaschenpaaren), bleibt dahingestellt. (»Du bist der Widerhall, durch den mein irdisch Leben den Geist vernimmt, der in mir lebt, sonst hätt’ ich’s nicht, sonst wüßt ich’s nicht, wenn ich’s vor dir nicht ausspräche«, sagt Bettina von Arnim.)
     
     
     

24. Juli
     
    Prospero heißt der Wirt am Strande, bei dem man den guten Schinken mit Melone bekommt und unter dessen Sonnensegel wir uns in der Heiterkeit des nahen Aufbruchs mit den ebenso vergnügten Freunden zusammenfanden, ausgerechnet Prospero, wie der, der in Shakespeares »Sturm« sagt:
    »Ich will es alles kundthun und verspreche
    Euch stille See, gewognen Wind und Segel
    So rasch, daß ihr die königliche Flotte
    Weit weg erreichen sollt...«
    Na, hoffen wir das Beste.
     
     
     

25 . Juli
     
    Wir sind an Bord gegangen. Weiß und strahlend wie ein Unschuldslämmchen lag die »Arabella«, unser Zuhause für die nächsten Wochen, in der Bucht von Rapallo. Durch einen dummen Zufall sind die

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