Seehamer Tagebuch
Korken aus, und Papa trieb sie in die Flaschenhälse. Die Flaschen leuchteten rot und sahen sehr echt aus. Es war ein schöner Augenblick.
Nun sollten sie lagern. Um dies zu erreichen, versteckte ich einige im Kleiderschrank, weil sie sonst den Probierabenden zum Opfer gefallen wären.
O diese Probierabende! Bruder Leo kostete und meinte, daß der heurige Jahrgang doch ziemlich stark nach Mäusen schmeckte.
»Das würde nichts machen«, meinte Papa und schwenkte sein Glas gedankenvoll, »aber er ist so sauer.«
»Findet Ihr nicht«, wagte Michael einzuwenden, »daß er einen Essigstich hat?«
Ich drückte ihm unter dem Tisch die Hand, weil ich wußte, daß er mir mit dieser Bemerkung den ganzen Zirkus im kommenden Jahr ersparen wollte. Doch das Äußerste, was er erreichte, war, daß einige Flaschen normaler Rotwein beim Krämer gekauft und dem Gesöff zugesetzt wurden. Bruder Leo pflegte dann sein Glas zufrieden gegen das Licht zu halten. »Einen leichten Nierenbefund hat er ja«, sagte er, »aber das gibt sich.«
Lag es daran, daß wir an den Probierabenden uns alle zusammen in die Eckbank drängten, uns so gemütlich fühlten: Ich bekam von dem Produkt der gemeinsamen Anstrengungen fast so etwas wie einen Schwips. Ich vermochte herzlich und unbeschwert zu lachen, als Michael eine ungeschminkte Darstellung des Schriftstellerberufs gab, ja ich fand unser Los hochinteressant und beneidenswert. Ha, dachte meine innere Stimme, was wäre gewesen, wenn du einem Industriekapitän hättest ein großes Haus führen müssen? Du, die du nicht mit Dienstboten umgehen kannst? Oder einem Diplomaten? Weißt du überhaupt, worüber man sich mit einem päpstlichen Nuntius unterhalten kann? Keine Spur! — Prä-destiniert war ich für meinen Beruf als Schriftstellersgattin, das war das Wort, prädestiniert, wenn ich es auch im Moment nicht fehlerfrei aussprechen konnte. — Mama zum Beispiel, die ein Juckergespann auf einem engen Hof wenden konnte, hatte zu Papierkram nie ein Verhältnis gehabt. Als Schreibkraft wäre sie ungeeignet gewesen. Wir hatten sie dabei erwischt, wie sie die Quittung des Lichtmannes einmal unter L = Licht, einmal unter E = Elektrizität und einmal unter A = Amperwerke ablegte. Bat man sie, in Michaels Romanen Korrekturen zu lesen, so gab sie sich riesige Mühe, fand auch hie und da einen Fehler, wurde die Geschichte aber richtig spannend, so ließ sie alle Druckfehler drin. — Ja, gegen das Licht gehalten, schien der Johannisbeerwein die rosige Brille zu sein, durch die betrachtet die Gleichung meines Lebens restlos aufging. Just in diesem Augenblick bemerkte Michael zu Bruder Leo: »Verstehst du, man muß eine gute Sekretärin heiraten, das spart enorm, und das Geld, das man nicht hat, bleibt wenigstens in der Familie...«
»Laß ihr doch die Schreibmaschine vorne aufs Fahrrad montieren«, schlug Leo vor, »dann wird sie wirklich voll ausgenutzt, weil sie doch blind schreiben und freihändig radeln kann.«
»Laß sie nur, sie ist schon brav«, glaubte Papa mich verteidigen zu müssen (ich hatte ihm am Morgen einen Spezial-Haferbrei nach seinen Wünschen gekocht). Dann erhob er sich, ließ sich von uns allen küssen und meinte abschließend: »Weckt mich in ungefähr zwei Stunden, damit ich mich auf die andere Seite dreh’, eh das Zeug mir ein Loch in die Magenwand gefressen hat.« Kein Marsala hätte uns so in Stimmung bringen können. War der Wein nicht das Symbol des ausgehenden Selbstbastel-Zeitalters, ein Sinnbild der in der Familie verwurzelten Experimentierfreudigkeit? Wußten wir, daß wir schon bald nicht mehr so zusammensitzen würden? Wir ahnten es vielleicht. Wie lange das nun schon her ist!
Ich schaue den verkümmerten Johannisbeerstrauch an. Eigentlich ist es rührend, daß er überhaupt so lange weitergetragen hat. Ich will ihn morgen ehrfürchtig ausgraben und eigenhändig in der Grube verbrennen. (Den daneben, der so mickert, vielleicht auch gleich?) Die übrigen Büsche reichen völlig aus. Jetzt wird ja schließlich nur noch Gelee gekocht.
5. Juli
Unter unseren jetzt sehr zahlreichen Besuchern sind auch solche, die man Manager nennen könnte. Mit ihnen machen wir den Froschtest. (Der wirkliche »Froschtest« ist natürlich ganz etwas anderes und sollte treffender Storchtest heißen.) Wir führen sie in unser kleines Moor, das sehr hübsch und ganz nah ist. Bei unserer Annäherung erzittert der torfige Boden, und die Frösche springen kopfüber ins Wasser und
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