Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seehamer Tagebuch

Seehamer Tagebuch

Titel: Seehamer Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
Vom Netzwerk:
hören auf zu quaken. (Da sie ja weder giftig sind noch Stacheln oder Zähne haben, können sie gar nicht vorsichtig genug sein.) Es dauert eine geraume Weile, ehe sie wieder auftauchen und quarren. Sagen unsere Gäste nach wenigen Minuten: »Na ja, sehr nett, mm wollen wir mal weitergehen«, oder »Tja, sie haben wohl heute keine Lust mehr, die Frösche«, dann gibt ihr Nervenzustand zu Besorgnis Anlaß. Geht aber einer leise in die Hocke und sitzt regungslos, entspannt und lauschend da, bis die Frösche sich wieder Schimpfnamen zuzurufen beginnen, dann ist er vollständig gesund und ausgeglichen.
    Als vorgestern eine riesige Hetzerei mit eiligen Arbeiten und Besuch und Einkochen war und ich mich dabei erwischte, bösartige Laute durch die Zähne zu zischen, wenn der Postbote kam oder ein Topf in der Küche überkochte, ließ ich alles liegen und ging zu den Fröschen.
    Gelassen und erfrischt bin ich zurückgekommen.
     
     
     

7 . Juli
     
    Gestern waren wir auf einem Sommerfest. Von außen muß es wundervoll ausgesehen haben: die bunten Laternen auf den Tischen im Garten, die feierlich gekleidete Menge — wie in einem Zeitungsbericht. Warum nur war ich so müde und gelangweilt? Wo ist der Zauber früherer Feste geblieben? Liegt es daran, daß heute keiner mehr versteht, eine Unterhaltung zu pflegen, daß man so merkwürdig alleingelassen durch die Menge zieht? Interessiert es niemanden mehr, wer neben ihm auf die Tanzfläche oder ans kalte Büfett drängt? Tanzen deshalb alle Männer nur noch mit den Damen, die sie mitgebracht haben, und allenfalls mit der Hausfrau? Nach der Benehmensvorschrift soll man während des Abends mehrfach die Sitzgruppe wechseln, um auch andere Gäste kennenzulernen als diejenigen, mit denen man sich zunächst niederließ. Das ist sinnlos geworden. Man lernt niemanden mehr kennen. In die begonnenen Unterhaltungen (besser gesagt, in die Monologe der Redegewandteren) wird man nicht mehr hineingenommen. An den Gastgebern liegt es nicht. Sie geben sich Mühe, sie murmeln lauter Namen. Aber die Gäste haben keine Ahnung mehr, daß sie mit ihrer Zusage zugleich auch Pflichten übernommen haben.
    Und wenn sie schon für die traditionellen Formen zu müde, zu faul, zu abgehetzt sind — was manchmal geltend gemacht wird — , warum hören sie dann mit der Tanzvergnügung nicht rechtzeitig auf? Warum bleiben sie bis früh um vier? Und da habe ich, als ich von meinen hinreißenden Tanzstundenfesten pünktlich wie Aschenbrödel und bitterlich weinend fortmußte, gewünscht, endlich erwachsen zu sein!
     
     
     

10. Juli
     
    Gestern sagte ein kluger und gutaussehender Mann etwas sehr Schmeichelhaftes zu mir, und es ließ mich ganz ungerührt. Und am Nachmittag, als sich ein kleiner blauer Schmetterling nach langem Flattern zögernd auf meinem Haar niederließ, bekam ich Herzklopfen und errötete.
    Noch vor zehn Jahren wäre es bestimmt umgekehrt gewesen.
     
     
     

11. Juli
     
    Meine Obstaufbereitungsmaschine ist sehr sinnig konstruiert. Oben tut man die Johannisbeeren hinein, seitlich läuft der Saft heraus, und vorne, aus dem langen Rüssel, dringen die trockenen Kerne. Bei mir funktioniert sie aber nicht. Nach kurzer Zeit weigert sie sich, die Kerne weiter auszuspucken und verstopft sich bis zum völligen Stillstand. (Damit es nicht heißt, es läge an meiner mangelnden Kraft, reiße ich so daran, daß der Verandatisch auf allen vieren hopst.) Als wir sie gestern zum drittenmal auseinandergenommen hatten, um zu sehen, woran es liegt, und uns der Saft schon vom Ellbogen tropfte, kam Besuch. (Von weitem meinte er, wir hätten eine Notschlachtung vorgenommen.) Ich habe mich zu einer jener spontanen Handlungen hinreißen lassen, für die wir Frauen berüchtigt sind. Ich habe die Maschine in die Abfalltonne versenkt.
     
     
     

12. Juli
     
    Ich duze mich so ungern. Für mich ist das Du kein Zeichen für Intimität, kein Herzensbedürfnis, vielmehr eine Art Bequemlichkeit, wie das Dasitzen in Hemdsärmeln. Es ist mir gelungen, mit den meisten guten Freunden das Sie beizubehalten. Bei anderen kommen sogar Rückfälle ins Sie vor.
    Neulich jedoch, auf einem Fest allgemeiner Verbrüderung, fingen die Männer untereinander an, sich zu duzen, weil sie sich nicht mehr klar waren, wen sie siezen und wen nicht. Ich konnte mich nicht ausschließen, man hätte mich für blöd und hochmütig gehalten. Hemmungslos duzte ich um mich, sogar das Dienstmädchen. Dann fuhr ich heim und siezte meine

Weitere Kostenlose Bücher