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Seehamer Tagebuch

Seehamer Tagebuch

Titel: Seehamer Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
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zarten Beziehungen zwischen dem Schiff und mir gleich anfangs gestört worden. In der Nacht vor dem Auslaufen brieste oder braßte es auf (oder wie das heißt, wenn plötzlich Wind geht), und da ich nicht gewohnt bin, ein ausgezeichnetes Abendessen in einem Rotor zu verdauen, dachte ich schon gegen elf Uhr — auf meinem Bett in der Kabine hin und her geworfen einen der Tiefpunkte meiner Existenz erreicht zu haben. An Deck war es dann etwas besser. Mit Tränen der Sehnsucht im Auge saß ich in einem der bunten Rohrstühle und sah zu den Lichtern an Land hinüber. Zweihundert Meter weit weg war festes Land. Drüben, im Exzelsior-Palast, wohnte zur Zeit die Exkaiserin Soraya. Zum ersten, ja wohl einzigen Male habe ich sie beneidet: um ihr stillstehendes Bett.
     
     
     

26 . Juli
     
    Die Leiden von gestern sind vergessen. Der unvergleichliche Augenblick der Ausfahrt hat sie ausgelöscht. Das Rasseln der Ankerkette, das Zurückgleiten der nun schon vertrauten Bucht, das Abenteuer des Aufbruchs ins Unbekannte, während die Sonne aufgeht. Es war mir ein dringendes Bedürfnis, laut zu singen. Wenn ich mich ganz hinten hinsetzte, dort, wo das Beiboot aufgehängt ist und die Kielwelle (heißt es so?) schäumt, hörte es niemand. Noch nach Stunden dachte ich, mir sei von den vielen Seekrankheitsmitteln so schwindlig, aber es war wohl doch Ergriffenheit angesichts des blauen Meeres, der bernsteinfarbenen, bunt getupften Küste, der fernen, großen Schiffe. Ich bin so wenig blasiert, daß es immerhin denkbar wäre.
    Wir nehmen Kurs auf Elba.
     
     
     

27. Juli
     
    Backbord ist links.
     
     
     

29. Juli
     
    Wer hätte gedacht, daß Elba so gebirgig ist. (Dabei fällt mir plötzlich nach Jahren wieder ein, daß die Geographielehrerin, bei der ich nie aufgepaßt habe, Fräulein Siegmund hieß. Ich glaube, Geographie müßte man ganz anders unterrichten, nicht so langweilig und immerzu »fruchtbare Tiefebenen«, unter denen sich keiner was vorstellen kann. — ) Die Häfen sind genau wie alle italienischen Häfen, bunt, schmutzig, mit ganz entzückenden alten Männern drin, die ihren Lebensabend damit verbringen, den noch arbeitenden jüngeren Fischern Ratschläge zuzubrüllen und im Schatten der fischstinkenden Boote ein Schläfchen zu machen.
     
     
     

30. Juli
     
    Aus der verlassenen und zerstörten Festung von Porto Ferraio, die ich bisher nur als Stich aus dem »Leben Napoleons« kannte, steigen in der Abenddämmerung Hunderte, Tausende von Fledermäusen und beschmutzen den zart apfelgrünen Himmel wie Fliegentüpfelchen ein Bild. Auf ein unhörbares Kommando stürzen sie sich allesamt in die staubig-räudigen Platanen, und man sieht sie nicht mehr.
     
     
     

1. August
     
    Es sind fünf Männer an Bord: drei Stück Mannschaft, Captain lind Michael. Alle fünf laufen immerzu von vorn nach hinten und wieder zurück. Dies scheint das Wesen der Seefahrt zu sein. Die zu jeder Tageszeit im Kabinenfenster erscheinenden haarigen Männerbeine kann ich jetzt schon mit einem einzigen Blick identifizieren.
     
     
     

2. August
     
    Captain sagt, wir hätten solch ruhige Lage im Wasser, weil wir so viel zollfreien Whisky im Bauch haben. Ich finde unsere Lage nicht ruhig, mir ist konstant übel, aber durch alle Übelkeit hindurch kann ich mir bereits vorstellen, wie man nach diesem Tang- und Teergeruch, dem Schwappen und Platschen, dem sanften Atem des Meeres Heimweh haben kann, solange man lebt. — Der Whisky gibt mir jedoch die nötige innere Gelassenheit, und ich schlafe abends rasch ein und erwache erst, wenn der Wind umspringt und alle Schiffsinsassen gähnend und zerstrubbelt aufstehen und Erbswürste aus Stoff über die Reling hängen, die Fender heißen. (Die neben uns vertäuten Schiffe bedrängen uns dann plötzlich wie eigensinnige Rösser in zu engem Stall.)
     
     
     

4. August
     
    Eine Jacht darf nicht liegen, wo sie will. Sie hat Parkraumschwierigkeiten, wie ein Wagen in der Innenstadt. Und ebenso wie dort über den schattigen Parkplatz neben dem Dom, freut man sich hier über die richtige Stelle an der Kaimauer, nicht zu weit von der Zapfstelle für Süßwasser, am allerliebsten zwischen zwei feststationierten Schiffen, die nicht erst nachts einlaufen und deren Ankerketten Michael und die Mannschaft nicht am nächsten Morgen alle mit hochleiern müssen, weil sie sich drübergelegt haben. Die Engländerin, die links von uns an Deck Aquarelle malt, malte gestern abend in der Dämmerung, als die jungen

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