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Seehamer Tagebuch

Seehamer Tagebuch

Titel: Seehamer Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
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Männer sich landfein gemacht und von Bord weggestohlen hatten, noch immer.
     
     
     

5. August
     
    Alle Nachrichten erreichen uns mit einer gewissen Verzögerung. Als wir hörten, daß Hemingway tot ist, zitierte ich — nicht wörtlich, aber doch ungefähr — die Stelle aus dem »Schnee vom Kilimandscharo«, wo der Sterbende plötzlich zu seiner Frau sagt, die Vorstellung, das Ende nahe uns in scheußlicher Gestalt, mit einem Totenschädel und einer Hippe, sei reiner Blödsinn. Es könne, so meint er, auch die Gestalt eines Schmetterlings oder zweier Polizisten auf Rädern annehmen. — Ich habe diese Stelle immer besonders gern gehabt.
    Als wir uns danach schweigend anschauten, dachten wir alle das gleiche: Es ist unwichtig, wie und warum das Jagdgewehr losging. Man hat Napoleon einmal gefragt: »Welchen Tod wünschen Sie sich, Sire?« und er hat geantwortet: »Den unerwarteten.«
     
     
     

6. August
     
    Merkwürdig, wie schmutzig es an den Ufern ist. Prachtvoll gewachsene junge Schönheiten, nur notdürftig bedeckt (was man keineswegs bedauert), stellen ihren Liegestuhl an einem »Strand« auf, den ich als breitgetretene Abfallhalde empfinde.
     
     
     

7 . August
     
    Nachts scheinen mir riesige Sterne von oben aufs Kopfkissen. Sie heben und senken sich ganz langsam innerhalb der Fensteröffnung. (Ja, vor dem Tau soll man sich hüten, man kriegt Rheuma davon. Nun, das habe ich schon.) Die Flecken in meinem weißen Plisseerock sind alle Öl, sagt Gustav, der Maschinist. Der weiß es bestimmt. Die in allen Farben spielenden blauen Flecken an mir selbst stammen von der Bettkante (wenn unvermutet eine Welle kam), von der Tür zum Waschraum und vom Niedergang zur Kombüse.
     
     
     

8. August
     
    Das Reklamethermometer des Uhrmachers von Porto Azzurro zeigt 32 Grad. Der Hafenkommandant, sehr schick, mit weißen Shorts (er sieht entfernt Vittorio de Sica ähnlich), findet, es sei für Elba um diese Jahreszeit erfrischend kühl. Die gebratenen Makrelen schmeckten trotzdem.
     
     
     

9. August
     
    Wo sind die gepflegten Frauen um die vierzig, die man in Amerika »matron« nennt, die aber noch keineswegs Matronen sind und auch nicht sein wollen? Wir sehen hier nur bezaubernde Teenager mit allem Schmelz der Jugend, schick angezogen, kokett und selbstbewußt. Und dann die aus dem Leim gegangenen, schwarzgekleideten »mammas« mit fettigen Haaren und Knopflöchern. Gibt es hier kein Zwischenstadium? Hört man hier, wenn man erst einen Mann fürs Leben festgenagelt hat, gänzlich auf, etwas für sich zu tun?
     
     
     

10. August
     
    Ich habe daheim in Seeham manchmal die Saison als »laut« bezeichnet. Das ist ein relativer Wert. Hier tönen aus drei Musikboxen sechzehn Stunden täglich Schlager, aus der Bar »Nettuno« am lautesten. Motorräder knattern bis zwei Uhr nachts. (Jeder Jüngling zeigt seinem Mädchen als Sensation die fremden Jachten am Kai und wünscht sich darauf mit ihr in die Ferne, eben die Ferne, aus der wir kommen.) Früh um drei fahren bereits die Fischer aus und brüllen sich Aussichten und Ansichten zu. Auf den ringsumher vertäuten Schiffen werden sehr lebhafte, lärmende Feste gefeiert. Ich kann mich noch immer nicht daran gewöhnen, daß zwischen mir und diesen Festen nur die Fender und zwei Meter Wasser liegen. Tief erstaunt sehe ich, wie Michael sich im Getöse unzähliger Phon mit dem selig-gelösten Ausdruck eignes satten Säuglings auf einer Matratze zusammenrollt und einschläft. Er ist schon so braun, daß Handflächen und Zehenspitzen etwas peinlich Rosiges haben, wie bei Eingeborenen. Gut, daß wir Farbfilm in der Kamera haben.
     
     
     

12 . August
     
    Der Badestrand hier hat eine große Ähnlichkeit mit dem Pavianfelsen im Zoo. Frauen und Kinder wimmeln, starr beaufsichtigt von den wenig schönen, sehr bunt in Bademäntel gehüllten Männchen. Waagrechte Flächen sind rar, auf dem besten Platz stehen die Kofferradios. Die Felsspalten sind voll von Papier und Schlimmerem. Wir gingen recht schnell ins Wasser.
    Mit dem Schnorchel komme ich immer noch nicht zurecht. Die Wellen schlagen mir immer gerade dorthin Wasser, wo nur Luft hereinkommen soll. Ich krabbele angstvoll nach Grund, um mich aufzurichten und die Maske auszugießen. Habe ich damit gerade beide Hände voll, so kommt die übernächste Welle und schleudert mich unsanft gegen das vulkanische Gestein, das schneidet wie Rasierklingen. Bei Eingeborenen soll gerade das Meerwasser solche Wunden schnell zur

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