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Seehamer Tagebuch

Seehamer Tagebuch

Titel: Seehamer Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
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Heilung bringen. Bei mir tut es das nicht.
     
     
     

14. August
     
    Seit gestern ist Schirokko. Man wird ständig wie durch den Haartrockner gerissen und trinkt viel. Beim Waschen der berühmten »kleinen Wäsche«, deretwegen Frauen an Bord nicht beliebt sind, flog uns das Waschpulver buchstäblich um die Ohren. Die »Arabella« schaukelte derart, daß ich mich schließlich in den Schalterraum des Postamts am Kai zurückzog. Die wackeren Mannen brachten mir belegte Brote dorthin und trösteten mich, ihnen sei es auf den ersten Seereisen ähnlich gegangen. Zunächst genierte ich mich vor dem Postbeamten, aber was sind schließlich belegte Brote im Amtsraum in einem Lande, in dem jeder niederfällt und schläft, wo es ihm gerade paßt und den Parteienverkehr über sich hinwegsteigen läßt.
     
     
     

15. August
     
    Neben uns liegt der Segler, in dem die Callas gereist ist. Von seinen technischen Details verstehe ich nichts, aber an Deck standen feudal aussehende Stühle um eine gewaltige Bronzevase mit Gladiolen. Viel größer als die »Arabella« ist das Ding nicht, und nach Dieselöl stinkt es auch. Wen wundert es, daß die Callas sich schließlich jemandem zugewandt hat, dessen Schiffe wirklich komfortabel waren: Onassis. Ich hätte es an ihrer Stelle auch getan.
    Captain, auch Klabautermann genannt, will Elba verlassen und uns morgen eine Überraschung zeigen. Da man nicht weiß, was für eine Überraschung es ist, habe ich sicherheitshalber mal den weißen Plisseerock entfleckt.
     
     
     

17. August
     
    Wer hätte das gedacht: Klabautermanns Überraschung war eine Insel! Pianosa heißt sie, eine wahre Operndekoration: Hafen mit stark befestigten Palazzi, Torbogen in die rückwärtige Kulisse, für den Auftritt der Räuberbraut. Der Chor der Piratenfrauen sang, als wir uns näherten. Das Nadelöhr der Einfahrt ließ Captain die Stirne runzeln. Auch die wackeren Mannen und Michael bekamen den abwesend starren Gesichtsausdruck, den Männer bei technisch kniffligen Höhepunkten ihres Lebens zeigen. Klabauterfrau und ich verschwanden nach drunten, als sich ein schrapendes Geräusch erhob. (Ein Atavismus: Frauen an Bord brachten früher Unglück. Während der Landemanöver heitere Bemerkungen über Land und Leute zu machen, ist unwillkommen.) Eng umschlungen, die Hüfte in etwas übriggebliebene kalte Spaghetti gestützt, warteten Klabauterfrau und ich, bis die Leinen ausgeworfen waren. Es wurde still. Man hörte, daß der Frauenchor hinter den schwer vergitterten Fenstern sang »A casa, a casa« = nach Hause. Eine Gruppe Uniformierter näherte sich eilenden Schritts. Wir stellten uns in Positur, um Glückwünsche wegen des ausgezeichnet gelungenen Landemanövers entgegenzunehmen. »Sind Sie in Seenot?« fragte man barsch, »wenn nicht, laufen Sie gefälligst sofort wieder aus.«
    Die ganze Insel war ein Frauengefängnis. Ich konnte gerade noch die Hafenkatze streicheln, mißtrauisch beäugt, ob ich ihr nicht ein Kassiber umbinde. Fünf Minuten später waren wir auf dem Wege nach Korsika.
     
     
     

18. August
     
    Was uns jetzt den Magen in die Ohren drückt und die Rachenmandeln in die Kniekehlen, ist gar keine bewegte See, sagt mir Michael, sondern eine alte Dünung von gestern. Es ist kein Trost.
     
     
     

19. August
     
    Mehrere Fahrtstunden lang lag ich in Decken verpackt in der äußerst bewegten frischen Luft an Deck und versuchte, nichts wahrzunehmen. Wenn Michael kam und dicht an meinem Ohr fragte, wie es mir denn ginge (womöglich mit einem Pfefferminzbonbon im Mund), brauchte ich meine ganze Kraft, um mich daran zu erinnern, daß ich ihn aus Liebe geheiratet habe.
    Diese nur schwach flackernde Selbstdisziplin wurde stärker angefacht, wenn Klabautermann oder Klabauterfrau sich mit mir beschäftigten. In elendem Zustand mit unserem Nächststehenden höflich und liebenswürdig zu sein, scheint recht schwer. Ich glaubte, einem Geheimnis menschlichen Zusammenlebens auf der Spur zu sein, aber mir war viel zu übel, um den Gedanken weiter zu verfolgen.
     
     
     

20. August
     
    Es ist mal wieder überstanden. Glatt wie Öl (nein, an Öl darf ich noch nicht denken!) strebte die »Arabella« die letzte Stunde dem schartigen, ehrfurchtgebietenden Korsika zu. Wo würde der Hafen liegen? Wie hatte er überhaupt noch Platz unterhalb dieser Hochgebirge? (Auch als Korsika in Geographie drankam, war ich ausschließlich damit beschäftigt gewesen, die Initialen eines Tanzstundenherrn in die Bank des

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