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Seehamer Tagebuch

Seehamer Tagebuch

Titel: Seehamer Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
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Süßwasser, Korkeichenwälder, Mäuerchen aus Felsbrocken (pro Stein je eine Eidechse, pro Korkeiche je eine Elster). Die Felsen unter Wasser beinahe noch interessanter: freudig gurgelnde Töne entquellen den Schnorcheln, wenn einer etwas ganz Tolles entdeckt hat.
    Nachts rufen Käuzchen am Ufer, und das Meer klingt, mal hier, mal dort, in einem hohen, zirpenden Ton. Es ist, als gäbe es auf der im Mondlicht wie mit Pailletten bestickten Wasserfläche Grillen.
    Abends beim Wein hätte ein Durchschnittsehemann mit Sicherheit geäußert: »Na, hat sich doch gelohnt, der ganze Aufwand, was?« Michael schwieg, das großmütige Herz.
     
     
     

2 . September
     
    Es hat sich das erhoben, was Dicki beim Segeln einen Kuhsturm nennt. Man weiß nicht, wohin mit sich, und ist elend. Die Männer, die sich gegenseitig immer wieder versichern, daß sie jetzt nicht in der Straße von Bonifacio sein möchten, tummeln sich leuchtenden Auges, messen Böenspitzen, reffen, raffen und tun Seemännisches. Klabauterfrau und ich sagten einander leicht beklommen gute Nacht und verschwanden mit spannenden Kriminalromanen in unseren Kabinen. Ich glaube nicht, daß ich den Mörder entlarven werde.
     
     
     

5 . September
     
    Wir wären vielleicht noch immer in der Bucht von Stagnola (in der wegen der steifen Brise noch ein englischer Segler neben uns Schutz gesucht hat), wenn uns nicht das Selterswasser ausgegangen wäre. Der korsische Wein (heißt La Sposata und wird von einigen Angehörigen der Familie Bonaparte gebaut) ist zu schwer, um unverdünnt getrunken zu werden. Nun führt auch der Weg zum Selterswasser nach Norden. Unsere Ferien gehen zu Ende.
     
     
     

7. September
     
    Wir hatten großartige Fisch-Beute und aßen sie gebraten morgens, mittags und abends. Ganz unvermutet sagte der Captain zu mir, »Dir ist ja gar nicht mehr übel!« Ich verschluckte mich vor Schreck. Kaum hat man sich an irgend etwas wirklich gewöhnt, da ist es auch schon vorüber. Ein altes Naturgesetz.
     
     
     

10. September
     
    Wir sind auf dem Heimweg. Die »Arabella« liegt schon fern und tief unten in der Bucht, ein Flöckchen, eine Vision. (Jeder Abschied ist ein ganz kleines bißchen Sterben).
    Der Seestern stank zu sehr, aber die großen Muscheln, das Stück Korkeichenrinde und der Bruyèrestengel aus Korsika liegen im Kofferraum. Hätte ich doch die Hitze, den Duft nach wildem Thymian und das Schrillen der Zikaden einwecken können. Ich würde an einem Januartag bei Frost und Ostwind ein Glas davon aufmachen.
     
     
     

11. September
     
    An der bunten, gleißenden, staubigen Riviera ist kein eigentlicher Herbst, aber man merkt den Pflanzen doch an, daß sie keine Lust mehr haben. An einem Zeitungskiosk hielten wir, Michael wartete im Wagen. Ich kaufte deutsche Zeitungen. Im Gehen las ich darin. Während der wenigen Schritte an einer sonnendurchglühten Wand entlang, die von blühender Bougainvillea wie mit lila Wäschetinte übergossen war, mußte ich alles an Ängsten und Herzschmerzen um Berlin abdienen, wozu ich daheim Wochen Zeit gehabt hätte. Das arme Berlin! Es wurde dunkel, die Farben wurden fahl, noch nach Stunden sah die Landschaft aus wie ein Fotonegativ. (Nein, wir werden nicht von Realitäten regiert, wie unsere Altvordern uns das glauben machen wollten. Ich habe mich einmal bei der Lektüre von Tolstois »Krieg und Frieden« beim Übergang über die Beresina gräßlich erkältet.) Ich will heim, so schnell wie möglich.
     
     
     

14. September
     
    Ich kann den kleinen Kirchhof in Porto Azzurro nicht vergessen, mit seinen Wandschränken voller Särge und den huschenden Ratten. Es war nur ein kleiner, lauwarmer Schreck, den ich verspürte, wie vor allem Ungewohnten. Die Italiener wissen, daß unsterblich Gewordenem keine Ratten mehr etwas anhaben können. Sich in die Vorstellungswelt eines anderen hineinzudenken, heißt ein Paar Augen und Ohren dazugeschenkt bekommen.
     
     
     

16. September
     
    Hatte ich gefürchtet, die Sorgen, die daheim über den Himmel gezogen sind, seien sichtbar? Unbeteiligt blicken die hohen Berge mich aus den funkelnden Augen ihrer Wasserfälle an, an den Bäumen leuchtet das Obst. Wieviel mehr doch die deutschen Äpfel den goldenen Früchten der Märchen gleichen als die südlichen Orangen, die an Volksfest und Luftballon denken lassen!
     
     
     

18. September
     
    Bei welcher Heimkehr vermisse ich die Eltern nicht? Im Erzählen daheim faßte sich alles Erlebte noch einmal wie in einem

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