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Seehamer Tagebuch

Seehamer Tagebuch

Titel: Seehamer Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
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Kreuzung zwischen O. W. Fischer und Louis Jourdan etwa) in meiner Kabine Asyl gewähren. Außer dem Asyl hätte ich ihm naturgemäß noch dies und jenes zu gewähren, was zu einem heiteren Sommerroman gehört. — Ich fragte kühl, aber beflissen, wann ich den Kerl aus meiner Kabine eigentlich wieder loswürde, ob ich ihm dabei, nachdem meine Leidenschaft nun einmal geweckt sei — an Land, ja womöglich in sein Land folgen müsse. Der Mann wich aus. Das überließe er ganz mir, sagte er, er wisse ja, daß man mir schwer etwas einreden könne. Ich solle mir selbst etwas einfallen lassen, das ich nachzuempfinden in der Lage sei. (Er sagte »nachzuvollziehen«.)
     
     
     

13. Oktober
     
    Ich grüble noch immer über der Liebesgeschichte an Bord. Nein, auf das Kreuz und Quer lasse ich mich als verheiratete Frau nicht ein. Michael muß von der Bühne verschwinden, und ich mache mich zu einer lebensgierigen kleinen Sekretärin, die vom gütigen Captain mitgenommen worden ist, damit sie mal was von der Welt sieht. — Ich finde es trotzdem durchaus unerquicklich, mit einem fürstlichen, aber suspekten Balkanindividuum die Kabine zu teilen. Es ist auch viel zu eng da. Wo soll ich ihn bloß hinverstecken? Unter der Schaumgummimatratze ist kaum Platz, da erstickt er rasch, und dann wird der heitere Sommerroman nur kurz.
    Ich habe schon überlegt, ob er, wenn ich die vielen Seekarten aus dem Besenschrank räume, dort hineinginge. Vielleicht, wenn ich ihn sehr klein und grazil mache. Aber dann »sitzt« wieder die Verführungsszene nicht, auf die ja schließlich alles hinausläuft. Kleine, Grazile sind nicht mein Typ. Sicher, bei lebensgierigen Sekretärinnen gilt der Spruch von der Gelegenheit, die Diebe macht. Aber gerade das ist auf der »Arabella« nicht so einfach. Laue Sommernacht, ja die kommt schon vor, aber beim kleinsten Geräusch wacht Captain auf und geht nachsehen, ob der Anker noch richtig liegt. Gewiß, es gehen mal am Nachmittag alle von Bord, und ich bleibe allein in der Kabine, Kopfschmerzen vorschützend, aber wer will bei dieser stickigen Hitze eine Verführungsszene? Selbst ich als lebensgierige Sekretärin habe keine Lust dazu. Der jugendliche Potentat schießt die Breitseite seiner männlichen Reize ja sowieso bloß ab, weil ohne mein Zutun seines Bleibens auf der »Arabella« nicht lange wäre. Captain schmisse ihn sofort hinaus. Doch nur so einfach mit dem Schrei »Sei mein!« aus dem Besenschrank fallen wird er wohl dennoch nicht. Mein Gott, wie mich die Zärtlichkeiten dieses Hammeldiebes jetzt schon langweilen!
     
     
     

14 . Oktober
     
    Heute habe ich dem allzu Hartnäckigen mit Papier und Bleistift die Inneneinteilung des Schiffes klargemacht. Man hört, so sagte ich, von einer Kabine zur anderen jedes geflüsterte Wort, kann sich niemals absentieren. Hunderttausend Argusaugen behalten Schiff und Kai unter Kontrolle. Erst dies hat ihn seltsamerweise davon überzeugt, daß zu einem heiteren Sommerroman meine Phantasie nicht ausreicht. Wir schieden, ohne daß ich von meinem köstlichen Humor hätte Gebrauch machen müssen.
     
     
     

17 . Oktober
     
    Seit dem vorigen Jahr ist so manchem Seehamer Bauernhaus ein Geweih gewachsen. Nicht mehr vorn an der Stirnseite wie früher, sondern oben auf dem Dach: die Fernsehantenne. Menschen, die niemals ins Kino gingen, weil sie dazu zu müde waren, finden jetzt nur mit Mühe ins Bett.
    Die Nachbarin unseres Freundes heißt Kathi. Auch sie ging einst mit ihrem Mann abends um 8 Uhr schlafen. Nun brennt bei ihnen fast die ganze Nacht Licht. Nach Sendeschluß, wenn die beiden vorm Fernsehgerät endlich aufstehen, fürchtet sich die Kathi nämlich im Dunkeln. Jetzt, wo sie so viel Grausliches sieht, sagt sie, hat sie andauernd Angst. Sie traut sich, sagt sie, in ihrem eigenen Haus nicht mehr allein die Treppe hinauf oder über den Speicher.
    Arme Kathi, man hat sie aus einem Paradies vertrieben, in das sie nie mehr zurückfinden wird.
     
     
     

20. Oktober
     
    Heine schreibt: »Ach liebe Frau, in unserem Lande ist es sehr frostig und feucht. Sogar die Sonne muß bei uns eine Jacke von Flanell tragen, wenn sie sich nicht erkälten will, und das einzige reife Obst, das wir haben, sind gebratene Äpfel.«
    Ich fand die Stelle heute früh, als ich neben dem Bücherschrank darauf wartete, daß der Ölofen richtig zieht. Morgens sticht einem bereits unverblümte Kälte bitterlich in die Nase. Die Berge sind bis tief herunter verschneit.
    Wie sagte meine

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