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Seehamer Tagebuch

Seehamer Tagebuch

Titel: Seehamer Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabella Nadolny
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Brennspiegel zusammen. Mama konnte stundenlang zuhören, durch kleine Zwischenfragen den Bericht weitertreiben. Papa kam aus dem Atelier, zog sorgfältig an den Bügelfalten und setzte sich umständlich, ehe er eine scherzende Frage nach etwas ganz Ausgefallenem tat (Hast du den König von mir gegrüßt? — Wie schmeckt der Safran in der Bouillabaisse? — ) oder sich mit leisem Grunzlaut, an der Nase zupfend, freute, wenn ich ihm eine Geschichte in einer fremden Sprache zitierte. Die Eltern lachten Tränen, wenn ich ihnen aufspringend eine Szene vorspielte, Mama verzieh, daß ich mit dem Gabelstiel aufs Tischtuch zeichnete, um ihnen ja alles recht deutlich zu machen. Höhepunkte und Glanzlichter der Reise traten hervor, die Beschwerlichkeiten versanken. »Na, herrlich, daß alles so fein geklappt hat«, konstatierte Mama zum Schluß. Wie durch einen Zauber hatte nun erst wirklich alles fein geklappt, war vollendet, abgerundet, unverlierbar geworden.
     
     
     

19. September
     
    Es gibt auch heute noch verwunschene Schlösser. Sie müssen nur in einer gewissen Entfernung von der ersten Rast-Etappe der nach Süden strömenden Bundesbürger liegen. Auf dem Hinweg nach Innsbruck hält keiner dort an, weil die frischen Kräfte und der Schwung des begonnenen Urlaubs sie möglichst tief nach Italien hineintragen. Wir, auf dem Rückweg, hielten dort — trotz guter Vorsätze — auch diesmal wieder nicht an, weil die Unruhe des nahenden Alltags uns vorwärtstrieb. (Ob viel Post da ist? Hatte ich den Abfalleimer eigentlich ausgeleert? Hoffentlich hat es nicht hereingeregnet. Wenn wir jetzt richtig zufahren, sind wir um 9 Uhr zu Haus.) Das Schloß blieb verwunschen.
     
     
     

20. September
     
    Spät abends sind wir angekommen. Der Garten legte sich uns beim Aussteigen so dunkel und feucht um die Ohren wie ein nasses Tuch. Es roch nach Kälte, Kartoffelfeuer und Schilf.
    Als Kind mußte ich, wenn ich einen geliebten Menschen schlafen sah, den Augenblick der Angst überwinden, er könne vielleicht gestorben sein. Bei unserem Haus ging es mir, bis ich Licht gemacht hatte, ebenso.
     
     
     

23 . September
     
    Auf der Marmorplatte, unter der wir unseren unvergessenen gelben Muckel begraben haben, saßen zwei fremde Katzen, die ihm ähnlich sahen. Ich brauchte keine Kenntnis der Mendelschen Gesetze, um mich im Glauben zu wiegen, es handele sich um seine Enkel. Wollten sie vielleicht auf chinesische Manier das Grab ihres Ahnherrn reinfegen? Für diese Pilger errichtete ich eine Erfrischungsstation mit Leber und Milch. — Wie überall, kommen seit gestern viele, die gar nichts mit der Sache zu tun haben.
     
     
     

25 . September
     
    Dem Autobus entstieg ein junger Mann, der meinem Bruder ähnelte. Er hatte die gleichen sachlichen, raumgreifenden Bewegungen. Als er seinen Koffer aufhob, lächelte er, und mir kam dabei eine vage Erinnerung an Schönes und Zärtliches. An was nur? All dies dauerte Bruchteile einer Sekunde. Dann erst erkannte ich meinen Sohn.
    (So lange waren wir doch gar nicht getrennt? Ich muß vorher nicht richtig hingeschaut haben.)
     
     
     

27. September
     
    Langsam kommt alles wieder in die gewohnten Bahnen. Die unordentlich langen Frühstücke, bei denen wir einander alles gleichzeitig erzählen, werden kürzer. (Ich bin noch immer froh und dankbar, daß der Junge sich beim Zelten in Griechenland nicht auf einen Skorpion gesetzt hat, und verwechsele dafür die Namen der Tempel.) In den Wänden und Zwischenböden des Hauses toben die Mäuse und oben auf dem Dach die Gastkater, die sich um den Rang des Platzkommandanten raufen. Von den mitgebrachten großen Muscheln stinken jetzt auch diejenigen, die vorher nicht gestunken haben, und die Salzkristalle aus Porto Vecchio zerkrümeln und fressen die Politur von der eingelegten Kommode.
    Mein leichtes Hinken ist behoben. Das in meinem Fuß war gar kein Seeigelstachel, sondern ein Stückchen von dem Whiskyglas, das wir beim Abschied auf der Kommandobrücke zerbrochen haben.
    Die Seehamer fragen mich, wo es denn schöner sei, drunten oder hier. (Was ist besser, Zwiebeln oder Schokolade?) Die Frage ist gar nicht so ärgerlich, wie sie mir früher vorkam. Was tue ich denn anderes, als die ganze Welt in ihrem Wert auf mich und das Meine hin einordnen?
     
     
     

28. September
     
    War die merkwürdige Telefondiktatur schon vor unserer Reise? Eine unbekannte Macht bestimmt nicht nur, wann, sondern auch wie lange wir telefonieren dürfen. Mitten im Satz

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