Seeherzen (German Edition)
«Aber nicht doch, Misskaella ist quietschfidel wie eh und je, der alte Albatros», sagte er lachend. «Sie wohnt nur schon seit ’nem guten Jahr nicht mehr hier oben.» Wir blickten die efeuberankten Mauern empor, auf die Möbelstapel hinter den Fenstern. «Sie hat’s bis unter die Decke mit Reichtümern vollgestopft, hat alles extra vom Festland kommen lassen – Möbel, Bilder, eine Küche voller Töpfe und Pfannen, ’nen großartigen Backofen, den sie kein einziges Mal angefeuert hat. Bis sie keinen Platz mehr für sich selbst hatte! Sie wohnt jetzt unten im Shore Cottage.»
«Was, in dem alten Bootshaus am Strand, unter McCombers Grundstück?»
«Sie hat’s ordentlich rausgeputzt, ’ne saubere kleine Schutzhütte mit Grasdach draus gemacht. Aber auch da hat sie ihr Gerümpel überall verteilt – scheint’s nicht lassen zu können, immer weiter Zeug anzusammeln, egal, wo sie wohnt –, aber sonst geht’s ihr ganz gut da. Besser, als es ihr hier oben je ging, das Haus hat das Übelste in ihr zum Vorschein gebracht. Damals hat sie sich sogar für ’ne kurze Zeit Lebensmittel einschiffen lassen, von denen hier noch kein Mensch gehört hatte. Fischeier aus Russland, irgendein grauenhaftes Gemüse aus Siam, das sie selbst nicht runtergekriegt und draußen auf den Müllhaufen geworfen hat; die Triebe haben überall Ableger gebildet und sich übers ganze hintere Grundstück ausgebreitet. Unten in der Schutzhütte ist sie ruhiger geworden, und jetzt, wo ihre Schwestern nicht mehr leben – bis auf die eine, die einmal im Jahr aus Cordlin zu Besuch kommt –, hat sie weniger Grund, ihr Geld für sinnloses Zeug zum Fenster rauszuwerfen, um damit anzugeben. Keiner zweifelt mehr an ihrem Wohlstand; sie fordert immer noch Geld von den Männern, wenn sie ihnen ’ne Frau rausholt, aber sie ist nicht mehr so versessen darauf, damit um sich zu schmeißen.»
Ich blickte auf meine Füße und schüttelte den Kopf. «Als kleiner Junge hatte ich so viel Angst vor ihr.»
«Oh, vor einer Frau wie ihr sollte man sich immer in Acht nehmen, mein Junge. Ganz gleich, wie groß man geworden ist.» Marshall legte mir eine Hand auf die Schulter. «Dann kommst du also zu uns zurück, Dominic?», fragte er herzlich. «Hast deinen Streifzug aufs Festland beendet?»
«Nein, nein, Mr. Marshall», sagte ich. «Ich werde sogar bald dort heiraten, ein Cordlin-Mädchen. Ich will mich hier nur kurz ums Haus kümmern und bin dann wohl endgültig weg.»
Er sah mich eine Weile verschmitzt an, dann nahm er einen tiefen Atemzug und stieß ihn laut seufzend wieder aus. «Dann alles Gute für deine Hochzeit, mein Junge. War schön, dich nach so langer Zeit wiederzusehen, so groß, gesund und munter. Du bist hier immer willkommen, das weißt du, ja? Egal, ob du hier ’n Haus hast oder nicht.»
«Das weiß ich, Mr. Marshall, und vielen Dank.»
Er ging weiter, folgte der Straße zu seinem Haus, und nach einem letzten Blick auf Misskaellas eingekerkerte Möbelstücke schüttelte ich mich einmal und ging dann in die andere Richtung. Schnellen Schrittes stieg ich hinter dem Hügel den Pfad hinauf, der zur windigsten und wildesten Stelle des Berggrats führt, wo man von niemandem aus Potshead gesehen werden kann. Der Wind blies mir die Haare zur Seite, peitschte mir den Mantel an die Knie und pustete mir den Kopf frei von meiner Unterhaltung mit Emmett Marshall und den unangenehmen Gedanken, die mir im Haus meiner Eltern so zugesetzt hatten; irgendwann war ich ganz durchgefroren und durchgepustet und fragte mich nur noch, was ich hier in diesem ungastlichen Wetter eigentlich zu suchen hatte, wo ich im Dorf doch noch so viel erledigen musste.
Den Rest des Tages beriet ich mich mit Neepny Fisher und wurde dabei immer wieder von seinen Kunden unterbrochen, die mich begrüßten und denen ich meine Situation ein ums andere Mal erklären musste. Zusammengefasst kam dabei heraus, dass es mehrere Interessenten für das Haus gab, so wie Shy schon gesagt hatte. Auch Fisher selbst war interessiert, weil er eine Bleibe für seinen Vater suchte, der zu zänkisch geworden war, um ihn weiterhin bei sich im Laden zu haben.
Am späten Nachmittag zog ich mich gemeinsam mit Neepnys Sohn Juniper zurück, der mir half, ordentlich Holz zusammenzutragen, damit ich die Transportkisten für die Armsessel bauen konnte. Er war ein netter Junge, gutmütig und ausgesprochen hilfsbereit; und obwohl ich eigentlich genug Gesellschaft gehabt hatte, war ich froh, dass er da
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