Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
Vom Netzwerk:
war, denn ohne seine Hilfe wäre ich nicht so weit mit dem Bau der Kisten vorangekommen, bevor ich zu meiner Verabredung mit Shy aufbrechen musste. Juniper glich Neepny bis aufs rot gelockte Haar und die Sommersprossen, doch sein Verhalten war ganz anders als das seiner Altersgenossen aus Cordlin – er war viel ruhiger und seiner Umgebung gegenüber deutlich aufgeschlossener. Während er für mich auf die Suche ging und Holz herbeitrug, hörte ich wieder Shys Stimme:
Und es geht doch nichts darüber, einen Jungen zu haben
, und ich konnte mir gut vorstellen, selbst einmal einen Sohn wie Juniper zu haben; es schien einem nicht besonders viel abzuverlangen. Tatsächlich war es das erste Mal, dass ich darüber nachdachte, Vater zu werden. Für mich war immer klar gewesen, dass ich einmal Kinder haben würde, zusammen mit Kitty – darum ging es beim Heiraten doch schließlich, oder? –, aber ich hatte mir nie ausgemalt, wie ich meine Zeit gemeinsam mit einem kleinen, interessierten Menschen verbringen würde, mit ihm an meiner Seite einer praktischen Arbeit nachging, bei der er mir vertrauensvoll und eifrig half.
    Junipers Mum hatte ich unten in Fishers Laden nur ganz kurz zu Gesicht bekommen, sie kaum mehr sagen hören als «Schön, dich kennenzulernen, Dominic Mallett», so wie es die Art der Robbenfrauen ist; sie reden einen immer mit vollem Namen an und sprechen mit tiefer Stimme, als teile man ein Geheimnis. Auf der Straße war ich noch einer oder zwei weiteren Frauen begegnet, und einmal hatte ich in einem Haus eine Frau singen hören und war wie angewurzelt stehen geblieben, durchflutet von Kindheit und Meeresmysterien. Doch als ich abends zu Shy zum Essen ging, lernte ich dessen Frau Fametta kennen – und ihren Sohn James, der in einem Alter war, in dem ein Besucher eine Art neues Riesenspielzeug ist, nichts, wovor man Angst haben muss; um nicht unhöflich zu sein, verbrachte ich einige Zeit bei ihnen und hatte reichlich Gelegenheit, ihre Gesichter zu betrachten. Ich fühlte mich sehr merkwürdig dabei, weil ich an einem unmagischen Ort wie Cordlin gelebt und mich an Gesichter gewöhnt hatte, die wie mein eigenes aus Blässe und Sommersprossen bestanden und von einem Kranz roter Locken umgeben waren. Und obwohl ich mir Kittys Abneigung als einzig richtige Reaktion auf diese Leute ins Bewusstsein rief, stellte ich fest, dass ich sie in Wahrheit als angenehm empfand. Abgesehen von Famettas schönem Gesicht, ihrer wunderbaren Figur und der Art, wie sie die Haare auf einfache, aber raffinierte Weise aufgesteckt hatte, bezauberten und beruhigten mich ihr Lächeln und ihre Friedfertigkeit. In James’ kleinem Gesicht waren die Merkmale seiner beiden Elternteile perfekt miteinander verschmolzen: Die hellen Augen hatte er von Shy, die makellose Haut und das seidige Haar – bisher kaum mehr als schwarzer Flaum – von Fametta. Er zog sich an meinen Beinen hoch, stützte sich mit den Händen auf meine Knie, um stehen zu bleiben, und blickte brabbelnd und lächelnd zu mir auf. Seine Eltern waren ganz aus dem Häuschen vor Freude über seinen Anblick und jedes seiner Geräusche.
    Und Shy kam ins Erzählen, angeregt durch die Freude über sein Leben als Ehemann und Vater. Er rief mir Dinge ins Gedächtnis, die wir in unserer Kindheit zusammen gesehen, getan oder gehört hatten. Überrascht erinnerte ich mich wieder an Ereignisse, die ich bereits vergessen hatte, oder stellte fest, dass ich sie anders in Erinnerung hatte als Shy, und stritt mich spaßeshalber mit ihm darüber, was wirklich geschehen war. Seine bezaubernde Frau gurrte ganz in unserer Nähe dem reizenden Kind zu, und beim Gedanken daran, dass überall im Dorf derart liebreizende Gestalten für Haus und Herd verantwortlich waren, kam mir das Leben in Potshead doch nicht mehr ganz so begrenzt vor, wie ich geglaubt hatte, und nicht so unnatürlich, wie Cordlins Bewohner argwöhnten.
Es ist alles so vertraut
, dachte ich zu Kitty, die den ganzen Abend über in meinem Verstand wachte, alles beäugte und das meiste davon missbilligte.
Wovor sollte man sich bei dieser Frau, diesem Kind fürchten? Du kannst sie nur nicht leiden, weil du sie nicht kennst; du hast nicht erlebt, wie harmlos sie sind.
    «Besteht wirklich keine Hoffnung, dass du zurückkehrst?», fragte Shy mich an der Haustür, bevor ich aufbrach.
    «Nein, meine Frau wird in Cordlin bleiben wollen», sagte ich. «Und sie wird nicht mehr arbeiten gehen, wenn wir erst mal verheiratet sind, deshalb

Weitere Kostenlose Bücher