Seeherzen (German Edition)
zu Neepny, damit er dich auf den neuesten Stand bringt?»
«Ich werd wohl erst mal Dad besuchen und mir das Haus selbst ansehen, bevor ich mit Neepny spreche.»
«Dann bleibst du über Nacht? Komm doch heute Abend zum Essen zu mir. Ich hab jetzt Frau und Sohn: Fametta, die Schönste, die jemals aus den Wellen gestiegen ist, und den kleinen James, meinem alten Herrn wie aus dem Gesicht geschnitten.»
Ich wusste, dass es Kitty kalt den Rücken heruntergelaufen wäre, und unterdrückte ein Schaudern. Ich wusste auch, wie meine Antwort lauten sollte.
«Bist du auch verheiratet, Dominic?»
«Fast.»
«Ach, es ist einfach toll, ein verheirateter Mann zu sein.» Er schlug mir auf den Arm. «Und es geht doch nichts darüber, einen Jungen zu haben.»
«Ich würde mich freuen, ihn kennenzulernen», sagte ich. Was sollte schon schlimm daran sein, einem Mann zu seinem Sohn zu gratulieren? Und vielleicht bekäme ich auch noch ein paar Geschichten zu hören, die ich Kitty erzählen konnte, um sie über das Inselleben zum Lachen und Staunen zu bringen.
Ich ging durch das Dorf bergauf. Alles war noch genau so, wie ich es in Erinnerung hatte, und zugleich so viel kleiner, was mich gleichzeitig entzückte und entsetzte. Kitty würde es hier mit Sicherheit furchtbar finden, so eng, ruhig und unbelebt, wie alles war. Und ihr würde es eher seltsam als vertraut vorkommen, wie die Robbenfrauen die Häuser auf ihre ganz spezielle Art geschmückt hatten. Auf den Fensterbrettern hatten sie Steine, Muscheln und winzige Körbe aus getrocknetem Tang drapiert. Die Gardinen waren zu einer Seite gerafft. Ein Cordlin-Bewohner hätte darüber gelacht – die Häuser schienen verschlagen zur Seite zu schielen. Überall schlichen Katzen umher oder lagen zusammengerollt auf Treppenstufen, Mauern oder vor den Fenstern; es waren merkwürdig gefleckte Farbkreuzungen, weil sie sich so oft untereinander gepaart hatten. Winzige Gärtchen wuchsen in geschützten Ecken, aus Keramiktöpfen wucherten die Lieblingsblumen der Robbenfrauen heraus und hatten nichts mit den anmutig blühenden Topfpflanzen vom Festland gemein, sondern erinnerten an Korallen, Austernschalen oder andere Meeresgewächse.
Die Kirche bot Erleichterung von den vielen verstörenden Details. Das Grab meines Vaters lag nicht mehr wie eine frische Wunde auf dem Rasen, so wie Mum und ich es damals zurückgelassen hatten, sondern bildete einen sanften, grasbewachsenen Hügel, und der Grabstein war von Flechten gesprenkelt. Ich wickelte die Blumen aus und legte sie zu Füßen des Grabsteins; der Wind warf ihre zarten Köpfe hin und her, ihre Formen und Farben wirkten an diesem grau-grünen Ort genauso unpassend, wie ich es mir gewünscht hatte. Ich ging neben dem Hügel in die Hocke; Beten hatte mir nie gelegen, und ich wusste nicht, was ich zu einem Dad sagen sollte, der sich in einen Hügel mit Grabstein verwandelt hatte. Der Wind ließ die Zypressen am Friedhofstor erzittern, und eine Amsel kam zufällig vorbeigehüpft, adrett wie ein Leichenbestatter aus Cordlin, aber mit neugierigem Blick, leuchtendem Schnabel und fröhlich federndem Gang.
Ich durchquerte das Dorf, bis ich an unserem alten Haus angelangt war. Ich drehte den Schlüssel im Schloss herum, sah wieder vor mir, wie Mum ihn am Tag unserer Abreise in der Hand gehalten und damit abgeschlossen hatte, dann stieß ich die Tür auf. Jetzt musste ich den Kopf genauso einziehen wie Dad, um mich nicht am Türsturz zu stoßen!
Die Luft drinnen war abgestanden, doch gleichzeitig schwirrten so viele Erinnerungen durch sie hindurch, dass mir die Knie weich wurden. Einen Moment lang wünschte ich mir, Kitty wäre mitgekommen; denn hätte ich sie herumführen und ihr alles erklären müssen – das Dorf, Dads Grab, unser Haus –, hätte es mir nicht so viel anhaben können. Doch so nahm mich das Haus unverzüglich und vollständig gefangen. Cordlin, so schien es zu sagen, war nur eine Ablenkung gewesen, ein Wirbel aus Lärm, Farben und vorbeihastenden Leuten. Cordlin hatte mich betört, mich mit künstlichen Schichten aus Gerede, Arbeit, Geld und Gesellschaft überzogen, die mir nun heruntergerissen wurden. Hier auf Rollrock herrschte die Stille, die ich von früher kannte, die kleine Stille des Hauses inmitten der Ruhe des Dorfes inmitten der luftig weiten wortlosen Grenzenlosigkeit des Wetters und Wassers. In meinem Herzen war ich kein verlobter, vernünftiger Cordlin-Mann; ich war ein sorgloser Junge, der nach Lust und Laune auf
Weitere Kostenlose Bücher