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Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
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brauchen wir das Geld aus dem Haus, um in Cordlin eins kaufen zu können.» Schwungvoll schob ich die Hände in meine Manteltaschen, und im Halbdunkel blickten wir überallhin, nur nicht einander ins Gesicht.
    «Auf Wiedersehen, Dominic Mallett», sagte Fametta. Baby James lag als schlafendes Bündel an ihrer Schulter. Ihr Gesicht schwebte wie eine wunderschöne Maske in der Nacht, ihre Lippen waren üppige Schatten, ihre Augen dunkle Gewässer, auf deren Oberflächen der Mond schimmerte.
    «Auf Wiedersehen, Fametta», sagte ich. «Es war sehr schön, dich kennenzulernen.»
    Ich schlug den Weg nach Hause ein, doch das Klatschen der kalten Meeresluft machte mich wieder wach, und als ich am Ende der Straße angekommen war und hörte, wie Shys Tür hinter mir geschlossen wurde, ging ich nicht den Hügel hinauf, sondern hinunter. Unbefangen spazierte ich durch die unteren Straßen, zuversichtlich, dass ich zu dieser Stunde niemandem über den Weg laufen würde, und froh darüber, in Frieden gelassen zu werden. Ich ging hinunter zur Uferpromenade, folgte ihr in Richtung Norden, ging vorbei an der Mole und weiter bis zum Ende der Straßenpflasterung. Dort musste ich mich entscheiden, ob ich mich oben durch die Dünen bis zur Crescent Road vorkämpfen oder zum festeren Sand am Strand hinunterrutschen sollte. Ich entschied mich für unten und ging dort über den silbrigen Sand, vorbei an den Kräuselwellen, die das Mondlicht in kleine Stücke zerbrachen, und den größeren Wellen, die darüberrollten und die Stückchen zu Schwärze zermalmten.
    Es war ein gutes Gefühl, zügig zu gehen und tief durchzuatmen, Potshead und seine Menschen hinter mir zu lassen – und die Mehr-als-Menschen oder Weniger-als-Menschen, was immer die Robbenfrauen auch waren. Ich rettete Kitty aus den Untiefen meines Verstandes, wohin Fametta und James sie verbannt hatten.
Sieh mal, auch das ist ein Teil von mir!
, rief ich ihr zu.
Es mag ja ungewöhnlich sein, aber muss man es deshalb gleich verabscheuen?
Ich wünschte von ganzem Herzen, Kitty könnte hier bei mir sein, damit ich mit ihr reden konnte, denn um ehrlich zu sein, war sie bereits ein wenig verblasst, so wie Cordlin mit all seiner Auf- und Anregung verblasst war – Rollrocks Schlichtheit und Seltsamkeit hatten beides aus meinem Verstand verdrängt, so wie die Gezeiten die Fußabdrücke und Schleifspuren einebnen, die tagsüber am Strand hinterlassen werden.
    «Hey!»
    Ich glaubte, das Meer mit einer Stimme verwechselt zu haben, blickte aber sicherheitshalber in seine Richtung, falls dort ein Mensch war, der gerettet werden musste.
    Doch: «Hey!», ertönte es nun erneut hinter mir. Ich wirbelte herum und sah im schroffen Mondschein zwei Dinge, die mir das Herz fast bis zum Hals schlagen ließen: Aus Thrippences Hütte, einem pelzigen schwarzen Hügel hoch oben inmitten der Dünen, drangen diagonale Rauchschwaden aus einem unsichtbaren Schornstein. Und auf den Stufen, die von der Hütte zum Strand führten, saß ein weiterer schemenhafter Hügel, der zwar kleiner, aber unvergleichlich furchteinflößender war als die Schutzhütte: Die Hexe Misskaella winkte mich zu sich herüber.
    Ich blickte zurück, sah mich am Strand um, suchte weiter vorn die Schatten des Forward Cliffs ab, doch niemand kam, der mir hätte beistehen oder mein Grauen zumindest teilen können. Langsam stapfte ich vom nassen harten Sand auf den weicheren ein Stück weiter oben und wünschte, er wäre noch weicher und schwerer zu begehen, damit ich vielleicht nie bei Misskaella ankommen würde. Was konnte sie bloß von mir wollen? Warum war ich nicht imstande, sie zu ignorieren und einfach am Strand entlang weiterzugehen?
Ach, komm schon
, redete ich mir gut zu,
was soll sie dir schon groß tun können, eine alte Frau, die um Mitternacht nicht schlafen kann? Vielleicht braucht sie einfach nur ein bisschen Gesellschaft und ist neugierig, wer der Fremde vor ihrer Hütte ist.
    «Guten Abend», sagte ich, als ich fast bei ihr angelangt war.
    Sie beobachtete mich mit einem Funkeln in den Augen. Ihre dunklen Lumpen sahen aus, als wären sie nicht aus Stoff gemacht und angezogen worden, sondern aus ihr herausgewachsen. Ihr Gesicht – das Gesicht meiner Albträume aus Kindertagen – blickte zu mir auf, als ich näher kam; unbarmherzig brachte der Mond jedes Barthaar, Muttermal und jede Falte zum Vorschein.
    «Misskaella», sagte ich, um ihr zu zeigen, dass ich sie kannte und wusste, mit wem ich es zu tun hatte. Sie starrte

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