Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
Vom Netzwerk:
zu mir hoch, fühlte sich ganz offensichtlich nicht verpflichtet, etwas zu sagen.
    «Mein Name ist Dominic Mallett», sagte ich. «Ich komme aus Cordlin.»
    «Mallett? Du kommst aus Potshead. Mich kannst du nicht hinters Licht führen; ich kann mich an deinen Vater erinnern. Wie er auf uns alle herabgeschaut hat!» Sie ließ ein schauriges Geräusch in ihrer Kehle erklingen und spuckte etwas Schleimiges neben sich aus. Sie griff in den Kragen ihres Lumpengewandes, knetete oder kratzte an ihrer Schulter herum. «Warum bist du zurückgekommen, willst du dich auch über uns lustig machen? Oh, deine kleine pummelige Mum, an die erinnere ich mich auch, so einsam und fein. Du hältst dich bestimmt auch für was Besseres, was?»
    «Aber nein. Was meinen Sie überhaupt?» Ich wusste ganz genau, was sie meinte, und ich war wütend, dass sie mich durchschaut hatte. «Ich bin geschäftlich hier, muss ein paar Angelegenheiten klären, es geht um Eigentum.»
    «
Es geht um Eigentum
», äffte sie meinen brüskierten Tonfall gekonnt nach und grinste zu mir hoch, offenbarte den entsetzlichen Zustand ihrer Zähne.
    «Ja, ich verkaufe mein Haus.»
    «Ach, tatsächlich, mein Süßer?» Sie zuckte die Schultern und zupfte an den oberen Stofflagen herum, als würde sie Flöhe entfernen oder sich gleich in einem Anfall von Wahnsinn alle Kleider vom Leib reißen und splitterfasernackt und scheußlich vor mir stehen. «Willst alle Brücken abbrechen?», säuselte sie. «Hoffst, uns für immer zu entkommen?»
    «Es steckt ganz sicher kein übler Wille dahinter, Misskaella», sagte ich.
    «Oh, aber natürlich nicht», flötete sie. «So ein netter junger Mann mit seinen Festlandmanieren. Hast du mir was mitgebracht, Dominic Mallett?»
    «Wie bitte?»
    «‹Wie bitte?› Schau ihn sich einer an! Die Leute bringen mir Geschenke mit. Die Leute spenden mir was. Manchmal einen schönen Fisch, den sie gefangen haben, oder ein Brot, das die Frau gebacken hat. Eine Decke für den Winter. Eine Lammkeule für mein Abendessen. Die Leute hier», sagte sie, «haben Respekt vor ’ner Frau wie mir und wissen, wie man mich bei Laune hält.»
    «Das tut mir leid, Verzeihung», sagte ich. «Ich wollte mir nur ein bisschen die Beine vertreten und frische Luft schnappen. Ich hatte gar nicht vor, Sie zu besuchen; und selbst wenn mir die Idee gekommen wäre, hätte ich angenommen, dass Sie schon schlafen.»
    «Oh, man bringt mir auch Geschenke, wenn ich schlafe», sagte sie. «Das ist kein Hindernis. Und wo ist deine erlauchte Mutter?»
    «Meine Mutter ist vor einigen Jahren gestorben.»
    «Ah, ah …» Nicht einmal sie witzelte über den Tod einer Mutter. «So was passiert. Und jetzt suchst du also Gesellschaft.»
    «Meine Mutter fehlt mir, ja. Aber ich habe Freunde und eine Tante.»
    «Freunde und eine Tante.» Wie dümmlich meine Worte aus ihrem Mund klangen. «Es gibt aber ein paar Dinge, die du von Freunden und einer Tante nicht bekommst, das ist dir schon klar?»
    «Ich werde bald heiraten», sagte ich hastig, vielleicht etwas zu hastig.
    Sie lachte. «Oh, ich sehe, du weißt, wovon ich rede. Und deine Braut hat feuerrotes Haar und eine spitze Zunge, hab ich recht?»
    «Überhaupt nicht spitz», protestierte ich, wobei – verglichen mit Fametta … «Sie ist ein schönes Mädchen und sanft noch dazu.»
    «Sanft.» Misskaella stülpte den Mund vor, als sei Sanftmut eine ausgesprochen fragwürdige Tugend. «Und du hast bereits getestet, wo ihre Sanftmut aufhört, ja?»
    «Warum sollte ich das tun?»
    Sie straffte sich und betrachtete das Meer hinter mir. «Och, ich weiß nicht. Ist ganz nützlich, wenn man so was einschätzen kann, meinst du nicht?»
    Ich wünschte, ich könnte vor ihr davonlaufen; mir gefiel nicht, wie sie meine Worte zerpflückte und mich durch die Schnipsel hindurch auslachte.
    «Lass uns ein Experiment anstellen, einverstanden? Hilf mir hoch.» Sie ergriff den Stock neben sich und hielt mir eine Hand hin, eine dreckige Klaue, die aus einer solchen Masse aus Fleisch und Tüchern herausragte, dass ich sicher war, sie nicht aufrichten zu können.
    Beim zweiten Versuch, bei dem meine Hand über den schmierigen Stoff ihres Ärmels rutschte und mir das Handgelenk von ihrem Krallengriff schmerzte, gelang es mir, sie auf die Füße zu ziehen. Schwankend stand sie vor mir, stützte sich auf ihren Stock. Ich konnte kaum glauben, dass sie nicht umkippte, so winzig waren ihre nackten Füße mit den zerklüfteten Zehennägeln.
    Sie zuckelte los,

Weitere Kostenlose Bücher