Seejungfrauen kuesst man nicht
»Wir wissen beide, dass es Mummy nicht viel ausmachen würde, aber es hat keinen Zweck, sie zu verärgern, wenn sie Kopfschmerzen hat«, sagt er irgendwie unlogisch. Die Aufregung, mich mit Vater gegen Mutter zu verbünden, wird durch ein Gefühl des Unbehagens beeinträchtigt. Ich neige von Natur aus dazu, die Wahrheit zu sagen.
Als wir zurückkehren, sind Mutters Kopfschmerzen und ihre schlechte Laune verflogen, und sie ist unten und bäckt einen Schokoladenkuchen - ein besonderer Leckerbissen und ein großes Zugeständnis, denn Schokolade ist eines ihrer verbotenen Nahrungsmittel, und deshalb wird sie sich nur indirekt daran erfreuen können. Sie, Vater und ich begrüßen uns fröhlich, und nachdem ich die verräterischen Sandalen in meinem Zimmer verstaut habe, werde ich umarmt und gestreichelt und darf den Löffel mit dem Kuchenteig ablecken. Am Abend, nach dem Essen, gesellt mein Vater sich zu uns, statt sich in sein Arbeitszimmer zurückzuziehen, um Hefte zu korrigieren, Unterrichtsstunden vorzubereiten oder an seinem Projekt zu arbeiten irgendein monumentaler und auf ewig unvollendeter Kommentar zum griechischen Drama und spielt mit uns Karten. Im Hintergrund läuft leise Klaviermusik, und zu unserem Rommee, das wir um Streichhölzer spielen, trinken wir heiße Milch und essen Kuchen. Wir sind glücklich, alle drei, gleichzeitig, am selben Ort.
3
Mein Vater hatte sein eigenes Äquivalent für unbehandelbare Kopfschmerzen: die unerklärte Abwesenheit. Da Mutter das Autofahren nie gelernt hatte, war Vater Herr über den Vauxhall Viva und verschwand stundenlang damit, normalerweise um irgendeine kleinere Besorgung zu erledigen, wie zum Beispiel einen Dichtungsring für den Wasserhahn zu kaufen oder in der Leihbücherei seine Strafgebühren zu zahlen. (Als Lateinlehrer an der örtlichen Grammar School hatte er unbegrenzten Zugang zur Schulbibliothek und war deshalb an lange Leihfristen gewöhnt.) Er kündigte seine Ausflüge niemals an, sondern schlenderte offensichtlich geistesabwesend aus dem Haus, und nur das Aufheulen des Motors verriet uns, dass er wieder einmal »weg« war. Gelegentlich kam er mit irgendetwas zurück, das er gekauft hatte, um vier Stunden Abwesenheit zu rechtfertigen: einem exotischen Autoersatzteil oder einem Stapel Bücher in einer Foyle-Plastiktüte. Für meine Mutter war dieses Verhalten eine dieser reizenden Exzentritäten, die sie mit der Zeit zu hassen gelernt hatte, aber die, da sie so lange nicht in Frage gestellt worden waren, jetzt auch nicht mehr geändert werden konnten. (Gewisse Regeln, wie dass Vater nur in seinem Arbeitszimmer oder im Garten Pfeife rauchen durfte, und das Ausziehen der Straßenschuhe an der Türschwelle, waren schon früh festgelegt worden und konnten deshalb mit aller Härte durchgesetzt werden, und nach zwölf Jahren Ehe fiel es ihm sogar fast leicht, sie zu befolgen.)
Im Haus selber gab er eine begrenztere Version seines Verschwindens zum Besten, indem er sich, kurz bevor das Abendessen serviert wurde oder wir ausgehen wollten, in seine abgelegensten Ecken zurückzog.
»Verschwinde jetzt nicht, ich trage auf«, sagte Mutter dann, während sie in einer Dampfwolke Gemüse aus dem Topf in ein Sieb kippte und mein Vater sich in der Tür herumdrückte. Wenn das Essen auf den Tellern war, war er verschwunden - um in seinem Schreibtisch nach einem Dokument zu stöbern, an das er sich plötzlich erinnert hatte, oder um schnell etwas an seinem »Projekt« zu verbessern.
Einmal habe ich ihn erwischt. Es war am Samstag vor Ostern. Vater hatte sich kurz nach dem Lunch weggeschlichen; Mutter jätete im Vorgarten Unkraut. Ich hatte meinen Comic zu Ende gelesen, mein Zimmer aufgeräumt und mich entschlossen, mit dem Fahrrad loszufahren, um mir Süßigkeiten zu kaufen. Rad fahren ohne Stützräder war eine Fähigkeit, die ich erst vor relativ kurzer Zeit gelernt hatte, und die Belohnung für diese Bemühung war ein neues, rotes Fahrrad gewesen, mit einem Korb vorne und einer Satteltasche hinten, das das rostige Flohmarktmodell ersetzte, auf dem ich diese Kunst erlernt hatte. Immer wieder um die Grünfläche am Ende der Sackgasse herumzuradeln war zu meiner Lieblingsbeschäftigung geworden, und als ich an diesem Morgen mit zehn Pence in der Tasche über die holperigen Bürgersteige zum Zeitungshändler fuhr, war ich so vollkommen und wunschlos glücklich, wie ich es als Erwachsene selten gewesen bin.
Im Laden blieb ich an der Gefriertruhe stehen und überlegte, ob
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