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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
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packen, mit der Haustür zu knallen, so, bügel deinen Kram selber, ich verbringe keine Nacht mehr mit dir unter einem Dach. Aber sie konnte ja schlecht meine Großmutter im feindlichen Lager zurücklassen. Also blieb es meinem Vater - ein wenig verspätet - überlassen, zu tun, was sich gehört. Er wollte nicht gehen; er hatte sich bereits vollkommen erniedrigt und schon seit vielen Jahren Buße getan, dachte er jedenfalls, doch es stellte sich heraus, dass die Vergebung meiner Mutter nur eine Leihgabe, kein Geschenk gewesen war, die sie jetzt wieder zurückforderte.
    Er nahm kaum etwas mit und suchte sich die erbärmlichste Unterkunft, die man sich vorstellen kann, so als könnte er nicht ganz glauben, was geschah; er wollte nicht zugeben, dass es so bleiben würde. Nach ein paar Wochen besuchte ich ihn dort: Er hatte sich ungefähr drei Meilen entfernt in einem riesigen viktorianischen Haus ein möbliertes Zimmer genommen. Auf der Treppe lag ein Teppichstreifen, der so abgetreten war, dass man auf jeder Stufe das Holz darunter sehen konnte. Im Flur stand eine abgestorbene Bananenpflanze in einem Korbständer, und auf dem Fußabtreter lag ein Haufen unsortierter Briefe. Die Mieter durchwühlten offensichtlich die Post, nahmen sich, was ihnen gehörte, und warfen den Rest wieder auf den Boden.
    Vaters Zimmer lag im zweiten Stock. Es war braun gestrichen und hatte haferbreifarbene Wände, die mit Löchern von Reißzwecken und winzigen Blu-Tack-Klecksern übersät waren. An ein paar Nadeln hingen noch Papierfetzen von Postern, die in Eile abgerissen worden waren. Es war ein Ort, den man schnell wieder verlassen würde. Er hatte dort ein Bett, über das er eine Strickdecke von zu Hause gelegt hatte, einen Tisch, auf dem seine Schreibmaschine stand, einen Schrank, der so in einer Ecke platziert war, dass er einen Boiler kaschierte, und ein Handwaschbecken mit einem algengrünen Streifen vom Wasserhahn bis zum Abfluss. Unter dem Becken befand sich ein kleiner elektrischer Herd, dessen Ofen Vater als Aktenschrank benutzte. Er schien nicht die Absicht zu haben zu kochen. Auf Grund des Geruchs im Raum und der Verpackungen im Papierkorb folgerte ich, dass er sich von Kebabs und Currys ernährte.
    Ich ging auf das riesige Schiebefenster zu, das einen Blick auf die Mülltonnen und Windmühlen in den Nachbargärten gewährte.
    »Darf ich das ein bisschen öffnen?«, fragte ich. Es war drückend im Zimmer, und zusätzlich zum Kebabgeruch war da noch der Duft nach ungewaschener Wäsche und Pfeifenrauch.
    »Es ist zugenagelt«, sagte Vater. »Wahrscheinlich, um die Mieter davon abzuhalten, sich aus Verzweiflung rauszustürzen.«
    »Sag das nicht.«
    »Entschuldigung. Wie geht‘s deiner Mutter?«
    »Ganz gut.«
    »Gut, gut. Und Granny?«
    »Ich wohne immer noch nicht wieder dort«, gab ich zu. Seit meiner Entdeckung hatte ich nicht mehr zu Hause übernachtet. Unfähig, meine Eltern direkt zu konfrontieren, hatte ich feige ein paar Zeilen hinterlassen, die mir die Gelegenheit gaben, ohne Angst vor einer offenen Konfrontation etwas von meinem Ärger abzureagieren.
    Gestern Abend habe ich durch Zufall meine Halbschwester getroffen. Ich stehe noch unter Schock - nicht so sehr; weil es sie gibt, sondern weil ihr es so lange vor mir geheim gehalten habt. Ich kann vor allem Granny die Lüge nicht verzeihen, die sie mir erzählt hat, dass ich eine Schwester gehabt hätte, die gestorben wäre. Das war grausam und unnötig. Ich bleibe lieber bei Frances, bis ich meine Gefühle geordnet habe.
    Alles Liebe
    Abigail
    Dieser Brief hatte viele Versionen durchlaufen - ein paar davon lang und theatralisch, ein paar kühl und knapp. Das »Alles Liebe« war ein großes Zugeständnis. Mir war nicht in den Sinn gekommen, dass meine Eltern sich deshalb trennen könnten. Meine! Die sich kaum je stritten und die nie die Stimme erhoben. Ich dachte nur an mich selbst und an die Entschuldigungen, die sie mir schuldeten.
    Die Radleys akzeptierten meine Anwesenheit ohne Murren und behandelten mich mit dem Respekt, den man jemandem schuldet, der entgegen aller Erwartungen Dramatik in ihren Haushalt gebracht hatte. Dass meine Familie sich erhoben und als tragisch und interessant erwiesen haben sollte, erschien ihnen wie ein Affront gegen die Natur. Das Seltsame an der Sache wurde an diesem Sonntag noch dadurch unterstrichen, dass alle Radleys, Auntie Mim, Nicky und ich eingeschlossen, zum Mittagessen Roastbeef aßen, das Lexi zubereitet hatte, wobei die

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