Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Unterhaltung kooperativ und höflich war, während meine Eltern ein paar Meilen entfernt ihre Ehe in Stücke rissen.
    Innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach der Vertreibung meines Vaters stand Mutter auf Frances‘ Türstufe und bat mich, nach Hause zu kommen. Rad machte die Tür auf.
    »Hallo, R ... ähm, ist Abigail da?« Mutter hatte schon immer eine Aversion gegen Spitznamen gehabt: Sie brachte es einfach nicht über sich, etwas auszusprechen, das nicht auf einer Geburtsurkunde stand. Ich konnte sie schlecht für eine offene Aussprache zu den Radleys hereinbitten, deshalb gingen wir zur Hauptstraße und sahen uns nach etwas um, wo wir uns hinsetzen konnten. Sie schlug die Wimpy Bar vor - mein erster Hinweis darauf, dass sie verzweifelt war.
    »Bitte komm zurück«, sagte sie und versuchte nicht zu weinen. »Es ist nicht nötig, dass du auch gehst.« Wir rührten unseren Tee mit Plastikstäben um. Keine von uns hatte große Lust, ihn zu trinken.
    »Wieso ist Dad jetzt erst gegangen? Das verstehe ich nicht. Wenn du schon immer von Birdie gewusst hast, welchen Unterschied macht es dann, dass ich es weiß?« Ich bin jetzt die Geschädigte , hätte ich am liebsten geschrien.
    »Es macht einen großen Unterschied. Es ist leichter, privat etwas zu vergeben. Bald werden es alle wissen.« Eine junge Frau mit drei Kleinkindern an einem Laufgurt wie eine Hundemeute manövrierte sich an uns vorbei, und Mutter senkte die Stimme - als wären sie daran interessiert, unsere Familiengeheimnisse zu belauschen! »Alle in der Kirche, in der Praxis und in der Mittwochsgruppe.« Ihr Kinn fing an zu zittern.
    »Wie sollen sie es rausfinden? Ich werde es keinem erzählen.«
    »Du hast es Frances doch schon erzählt, oder?«, sagte sie. »Und ich nehme an, die gesamte Familie weiß es inzwischen.«
    »Das musste ich. Rad war dabei. Außerdem muss ich mit jemandem reden. Wenn ihr mich gar nicht erst angelogen hättet -«
    »Wir haben nie gelogen!« In diesem Punkt ließ sie sich nicht beirren. »Wir haben nur beschlossen, dass es etwas ist, das du nicht wissen musst. Ich wusste nicht, dass Granny diese schreckliche Geschichte erfunden hat. An dem Tag, als du gesagt hast, du hättest in Dads Brieftasche ein Foto gefunden, hat sie uns nur erzählt, sie hätte dich beruhigt und dich zu dem Versprechen gezwungen, es nie wieder zu erwähnen. Ich bin wütend auf sie.« Ihr Mund verzog sich schmerzlich. »Jetzt sprechen wir alle nicht mehr miteinander.« Ich hielt über dem Tisch ihre Hand, während sie nach einem Taschentuch griff. Ich spürte, dass wir von den beiden Mädchen hinter der Theke interessiert beobachtet wurden. Auf meinem Tee hatte sich eine braune Haut gebildet. Ich ritzte ein Kreuz hinein.
    »Wir haben das für dich getan. Wir haben versucht, dir eine glückliche Kindheit zu ermöglichen.«
    »Ich weiß, ich weiß. Ich bin auch glücklich«, sagte ich mit bebender Stimme. »Ich wünschte nur, ihr hättet mir davon erzählt, bevor ich es auf diese Weise herausfinden musste.«
    »Wir konnten ja nicht wissen, dass ihr euch je über den Weg laufen würdet. Es erschien uns sehr unwahrscheinlich.« Es folgte eine Pause, während sie ihr feuchtes Taschentuch durch ein trockenes ersetzte.
    »Hast du die Frau je getroffen?«, fragte ich trotz meiner leisen Angst, dadurch eventuell noch mehr Tränen auszulösen.
    »Nein. Nie«, sagte sie. »Sie war Referendarin an seiner Schule. Dein Vater sollte sich um sie kümmern, weil sie Schwierigkeiten hatte. Es war nur eine einmalige Sache. Es war keine Affäre. Er hat es mir sofort gebeichtet. Und es war in Ordnung. Aber dann hat sie ihm gesagt, sie würde, na ja, ein Baby bekommen.« Ihre Stimme wurde wieder wässrig. »Es war einfach schrecklich.«
    Ich hörte sie reden, als wäre sie weit weg. Wir saßen in der Wimpy Bar, meine Mutter und ich, und sprachen darüber, wie mein Vater, der jeden Tag eine Krawatte trug, sogar in den Ferien, der niemals im Halteverbot parken würde, jemanden schwängerte . Ich war plötzlich von Mitleid mit ihr überwältigt. Es schien jetzt so offensichtlich, dass die Ehe meiner Eltern nicht auf traditionelle Weise glücklich - in Wahrheit sogar kalt und leer gewesen war. Und es war klar, dass sie, weil sie ihm jahrelang, nur um meinetwillen, eine Vergebung vorgespielt hatte, die sie nicht empfand, gedämpft, dünnhäutig, scharfzüngig und bitter geworden war.
    »Du warst erst anderthalb. Ich habe ihn zu einer Entscheidung gezwungen. ›Uns‹ oder ›sie‹.«

Weitere Kostenlose Bücher