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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Haus war er nicht zu sehen, deswegen ging ich wieder nach hinten und hing sie an einen Kirschbaumzweig.
    Der Garten bot ein Bild der Verwüstung. Das Festzelt, immer noch nicht ganz abgebaut, lag auf dem Rasen wie ein großes, eingefallenes Soufflé. Drumherum waren abgestellte Teller und leere Champagner- und Bierflaschen im Gras verteilt. Leute, die vorher noch getanzt hatten, standen planlos und verlegen herum und warteten auf ihren Rausschmiss. Ein paar Ruderer planten, einen Suchtrupp zu bilden, um die Straßen nach Grant zu durchkämmen. Anne weinte immer noch untröstlich; die Wimperntusche hinterließ tintige Spuren auf ihren Wangen. Am Ende des Gartens tropfte und rauchte noch der ausgebrannte Schuppen, und Neil kauerte zwischen den Ruinen und untersuchte die Überreste seiner verkohlten Motorräder.
    Als wir gingen, fuhr die Polizei gerade vor.
    »Wo gehen wir hin?«, fragte ich, als Rad in die entgegengesetzte Richtung seines Wagens lief.
    »Ich weiß nicht«, sagte er. »Lass uns einfach spazieren gehen.«
    Das taten wir, Seite an Seite, im Abstand von dreißig Zentimetern. schweigend, an prachtvollen Häusern mit hohen Mauern und Toren vorbei, die wie Zugbrücken gegen die Welt waren, bis ich mich schon fragte, ob ich mir die Episode im Gartenhaus nur eingebildet hatte. Aber an meinem Kleid war eine kahle Stelle, die es bewies. Ohne mir etwas dabei zu denken, zupfte ich an einem Faden, und in meiner Hand löste sich ein weiterer Perlenstrang und fiel kaskadenartig zu Boden.
    »Seltsamer Abend«, sagte Rad kopfschüttelnd.
    Das kannst du laut sagen, dachte ich, aber bevor ich irgendwas erwidern konnte, griff Rad nach meiner Hand und zog mich zwischen die Bäume, was mein Herz vor Aufregung und Angst heftig schlagen ließ. »Schau«, sagte er und deutete nach oben. »Fledermäuse.« Ich spähte durch die Zweige und sah ein paar schwarze Umrisse, wie verbrannte Papierfetzen, die flatternd über uns kreisten. Und dann, da wir unter einem Baum standen und es schade gewesen wäre, das nicht auszunutzen, presste Rad mich an den Stamm und küsste mich ziemlich heftig.
    »Ich weiß nicht«, sagte er danach, und ich fand, dass es das Netteste war, was er je gesagt hatte, und es war das einzige Mal, dass ich ihn Unsicherheit ausdrücken hörte. Er fuhr mit der Hand durch mein langes Haar. »Ich liebe deine Haare. Schneid sie niemals ab.«
    »Haare schneiden ist nicht mein Ding. Wie du weißt.«
    Er ging auf den Weg zurück, und ich folgte ihm, wobei ich noch mehr Perlen verlor, und diesmal legte er den Arm um meine Schultern, und ich schlang meine um seine Taille. Wir liefen weiter, wobei wir unbeholfen mit den Hüftknochen zusammenstießen, weil es nicht gerade eine bequeme Art war, sich zu bewegen, aber keiner von uns wollte sich geschlagen geben. Außerdem war es für mich eine Erleichterung, so nahe bei ihm zu gehen, damit er mein brennendes Gesicht nicht sehen konnte. Selbst in einer solch extremen Situation, in diesem Augenblick der Offenheit, konnte ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass wir auf einem Hochseil balancierten: Ein falsches Wort, eine falsche Geste, und wir würden in einen Abgrund aus Verlegenheit fallen, aus dem es keine Rettung mehr gab.
    »Hast du das wirklich ernst gemeint, dass du das schon seit Ewigkeiten tun wolltest?«, fragte ich, als wir in eine Seitenstraße mit großen viktorianischen Häuserreihen einbogen. Ich hätte gern geglaubt, dass er es nicht nur aus einer Laune heraus getan hatte.
    Rad nickte.
    »Wie lange?«
    »Ach, ich weiß nicht. Seit Frankreich, denke ich.«
    »Frankreich? Was hat dich so lange davon abgehalten?«
    »Du hast mich nie ermutigt.«
    »Dazu hast du mich nie ermutigt.« Wir starrten uns fast böse an, als fühlten wir uns wie die Opfer irgendeines Streichs, der uns unnötig Zeit gekostet hatte.
    »Du warst immer so unnahbar.«
    »Aber du hättest in der Lage sein müssen, das zu deuten. Außerdem hast du vor einer Minute noch gesagt, du magst keine direkten Frauen.«
    »Alles, was man braucht, ist ein Hauch von Interesse. Sogar als du heute Abend meine Haare geschnitten hast, hast du eine Armlänge entfernt von mir gestanden. Kein Wunder, dass es so vermurkst ist.«
    »Ich wollte dich nicht bedrängen.«
    »Und wenn ich‘s mir recht überlege, ich hab dich sehr wohl ermutigt. Ich hab dich damals im Urlaub nach Ypern gefahren. Und dann hab ich dir Goodbye to All That gekauft. Wofür du dich übrigens nie bei mir bedankt hast.«
    »Das hätte ich ja

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