Seejungfrauen kuesst man nicht
sie sich schließen, und verursacht ein scheußliches Knirschgeräusch. Als ich fertig bin, fühlt sich mein Kopf leicht und frei an, wie ein Ballon, dessen Leinen gekappt worden sind. Leider sehe ich aus wie die Insassin eines viktorianischen Waisen- oder Irrenhauses. Ich habe einen einseitigen Johanna-von-Orleans-Schnitt mit zottigen Zipfeln und Stufen. Ich werde anfangen müssen, mir den Hals zu waschen.
Auf dem Teppich scheint das abgeschnittene Haar dunkler und matter: Ich sammle es auf, und es bildet in meinem Schoß ein weiches, unordentliches Nest. Es wäre besser gewesen, wird mir jetzt klar, wenn ich es geflochten und als lange Schlange abgeschnitten hätte, aber dazu wäre Hilfe erforderlich gewesen, und Selbstverstümmelung ist dem Wesen nach eine Privatangelegenheit. Ich durchwühle das Arbeitszimmer nach einem gefütterten Umschlag, der groß genug für alle Haare ist und fest genug, um Growth zu widerstehen. Ich brauche meine Schrift nicht zu verstellen, da meine Hände sowieso zittern. Man stelle sich den Schock vor, wenn er die Hand hineinsteckt und all das tote Zeug berührt. Ich könnte nach Melodramen süchtig werden, denke ich, als ich, ganz tapfer ohne Hut, zum Briefkasten gehe, obwohl diese Geste eine einmalige Sache bleiben muss. Um eine Ernte wie diese zu bekommen, würde es noch einmal achtzehn Jahre dauern.
Als ich mich wieder ins Haus schleiche, stoße ich im Flur mit Mutter zusammen. Sie stößt einen Schrei aus und hält sich die Hand vor den Mund. Eine Minute lang steht sie so da und starrt mich mit vor Schreck geweiteten Augen an. Hier ist endlich die Bestätigung für meinen nicht ganz normalen Zustand.
»Deine schönen Haare«, sagt sie durch ihre Hand hindurch. »Was hast du getan?«
»Ahm, ja«, murmele ich und zerzause die zottigen Zipfel. »Ich habe sie abgeschnitten.«
»Was wird dein Vater sagen? Er hat mir nie erlaubt, dir die Haare zu schneiden, als du klein warst. Das wird ihm das Herz brechen.«
Was kümmert dich denn sein gebrochenes Herz? Oder gar meins, denke ich. Sie geht um mich herum und betrachtet sich die Katastrophe von allen Seiten. »Was ist bloß in dich gefahren?«
Ich zucke mit den Achseln. »Ich wollte sie loswerden.«
»Na dann«, sagt sie. »Auf deine Kappe.«
Mutter hat mir zwanzig Pfund gegeben, damit ich meine Haare in Ordnung bringen lasse. Ich war im ganzen Leben noch nicht beim Friseur und bin mit der Prozedur nicht vertraut. Bei uns gibt es zwei Salons: einen mit Neonlichtern, weißen Kacheln und Personal mit Lederhosen und platinblonden Irokesenschnitten oder kahlrasierten Köpfen. Der andere ist in Beigetönen gehalten und hat eine Reihe Trockenhauben im Fenster, unter denen alte Damen sitzen und darauf warten, dass ihre Dauerwellen kochen, wie Sämlinge unter Glasschutz. Ich entscheide mich für den beigefarbenen. Drinnen fegt eine Frau mit geblümter Schürze abgeschnittene Haare zusammen. Sie schiebt den wachsenden Haufen grauen Flaums auf eine Tür zu, die sie öffnet, schubst dann alles, inklusive Besen, hinein und knallt die Tür blitzschnell wieder zu.
Als ich zum Waschbecken dirigiert werde, aus dessen Rand ein seltsames Stück herausgebissen worden ist, knie ich mich auf den Stuhl, um mich wie zu Hause über das Becken zu beugen; die entgeisterte Friseuse klopft mir auf die Schulter und sagt, dass ich mich hinsetzen darf. Sie bringt mir eine Tasse Kaffee und eine Ausgabe von Cosmopolitan, damit ich lesen kann, während die Haarschnellkur einwirkt. Den Kaffee stellt sie so, dass ich gerade nicht rankomme, aber das Magazin blättere ich durch, bis mir die folgende fett gedruckte Zeile ins Auge sticht: Das Mittel gegen Kummer: Ein Haarschnitt! 75% der Frauen, die sich von ihrem Partner getrennt haben, ändern ihre Frisur.
»Es ist eine Frage der Kontrolle«, sagt Amanda, 22, deren Beziehung letztes Jahr in die Brüche ging. »Es geht darum, einen Bereich seines Lebens wieder in den Griff zu bekommen.«
Ich schließe die Augen und lege meinen Kopf zurück. Ein Tropfen pflegegespülten Wassers tröpfelt an meinem Hals herunter und zwischen meine Schultern zu meinem BH-Träger. Es wird eine Weile dauern, bis ich mich mit der Banalität meines Kummers abfinde.
40
Es ist Anfang September. Bei mir hat sich nichts getan. Birdie hat ein paarmal angerufen, ist aber oft nicht zu erreichen. Sie hat andere Freunde, und ihre Loyalität mir gegenüber ist nicht sehr ausgeprägt. Ich habe Vater besucht. Ihm graut vor dem kommenden Schuljahr,
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