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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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gesprochen werden. Mein Vater kommt nach Hause, um mich zu trösten und getröstet zu werden. Wir sitzen zusammen auf der Bank im Garten, umgeben vom Duft sterbender Rosen und dem Summen der Bienen, und reden. Als ich Half Moon Street erwähne, scheint er sehr betroffen. Dieses Detail hat Mutter in ihrem Bericht nicht weitergegeben.
    »Du hast dich mit Val dort getroffen, stimmt‘s?«, sage ich. Wir sehen uns nicht an, während wir reden, sondern geradeaus über den Rasen.
    »Ja«, sagt er ruhig. »Ich wollte, dass du es siehst, weil ich wusste, dass es dir dort gefallen würde, nicht weil es mir irgendetwas bedeutet hat. Es war falsch von mir, dich mit dorthin zu nehmen.«
    Mutter bringt uns Tee, lässt uns aber ansonsten in Ruhe. »Ich muss heute Abend an Valerie schreiben«, sagt Vater, der laut denkt. Ich weiß, dass es ihn seelisch fast umbringen wird, einen solchen Kondolenzbrief aufzusetzen, aber aus seiner Sicht ist selbst diese Buße einem persönlichen Besuch vorzuziehen.
    Als es für ihn Zeit ist zu gehen, kommt Mutter heraus, um sich zu verabschieden. »Danke für das Geld«, sagt sie, eine Anspielung auf irgendeine Transaktion der vergangenen Woche.
    Er winkt ab. »Wenn du mehr brauchst...« Sie gehen ein Stück vor mir den Garten hinauf. »Die Rosen müssen in diesem Jahr schön gewesen sein.« Er hat das Beste davon verpasst.
    »Ja. Ich habe das Schlauchverbot ignoriert«, sagt Mutter. »Leider wird der Rasen immer höher.« Sie zieht mit der Schuhspitze einen Scheitel durchs hohe Gras.
    »Soll ich mähen, wo ich schon mal hier bin?«, fragt Vater, erfreut, sich nützlich machen zu können, und noch erfreuter, dass er den Wink verstanden hat.
    »Würdest du das tun?« sagt Mutter. »Das wäre wunderbar.« Und innerhalb von Sekunden kämpft Vater sich aus seiner Jacke und steuert auf den Schuppen zu, und Mutter legt noch ein Kotelett in den Schmortopf. Ich weiß nicht, ob es Kummer oder Schuldgefühle oder ein Bedürfnis nach Trost ist, was diese Versöhnung bewirkt, oder welcher ungeschriebene Vertrag in ihrem Schlafzimmer besiegelt wird, aber Vater bleibt an diesem Abend und kehrt nur noch einmal in sein schreckliches möbliertes Zimmerchen zurück, um seine Sachen zu holen und zum letzten Mal dankbar durch das zugenagelte Fenster auf die Mülltüten und kaputten Motorräder in der Gasse darunter zu sehen.

43
    Tote haben viele Freunde. Praktisch Birdies gesamte Schule ist zur Beerdigung gekommen. Vom Parkplatz aus, wo Vater und ich sitzen, weil wir viel zu früh gekommen und fast in den falschen Gottesdienst geplatzt sind, sehen wir ein ganzes Heer Mädchen und Jungs zur Kapelle strömen. Fast alle tragen Schwarz, obwohl Valerie vorgeschlagen hat, dass die Leute in normaler, bunter Kleidung kommen sollen. Die ältere Generation ist dem Wunsch nachgekommen, aber die Jugendlichen sind abergläubisch. Ein paar Jungs haben keine Trauerkleidung und tragen stattdessen ihre Schuluniform. Ein paar Mädchen wischen sich schon die Augen. Ich sehe schnell weg: Ich kann es mir nicht leisten, jetzt schon zu weinen, wo es doch noch so viel schlimmer kommen wird. Eine kleine Welle geht durch die Menschenmenge, als der Leichenwagen vorfährt, blumenübersät wie ein Festwagen, und als ich diesen Kasten darin sehe, läuft mir ein eisiger Tropfen aus Furcht den Rücken herunter. Sich vorzustellen, dass der Deckel nur Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt ist. Aus dem Begleitwagen steigt Birdies Mutter, unsicher, auf den Arm einer Freundin gestützt. Ich habe sie als kräftigen, sportlichen Typ in Erinnerung, doch jetzt scheint sie geschrumpft zu sein - ihre Haut wie Stoff auf einem Stickrahmen; ein Husten könnte sie wegblasen. Selbst die größte der drei Hallen auf dem Friedhof ist nicht groß genug, und hinten gibt es nur Stehplätze: Vater und ich, die als Erste gekommen sind, gehen als Letzte hinein, und wir nehmen unsere Plätze an den Türen ein, die hinter uns geschlossen werden. Selbst in einem Augenblick wie diesem ertappe ich mich dabei, wie ich mich nach Rad umsehe, und mich erfüllt Scham und Selbstverachtung. Aber dort ist er, nur ein paar Reihen vor mir, neben Frances und Mr. Radley. Er hält den Kopf gesenkt, durchaus angemessen.
    Birdies Mutter hat sich für eine weltliche Version des traditionellen Gottesdienstes entschieden. Wenn sie je gläubig gewesen ist, wird sie es jetzt sicher nicht mehr sein. Die Trauerfeier für Birdie wird von einem Mann in einer grauen Hose und einer Sportjacke mit

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