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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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nicht einmal sagen kann, was ich nicht tun kann.
    Rad sagt nicht einmal »Auf Wiedersehen«, er schüttelt nur mit dem Kopf, und dann ist er weg und ich bin allein. Ich lege mich auf die Couch und blicke durch ein Kaleidoskop aus Wasserleichen an die Zimmerdecke. Ich höre Granny oben hin und her gehen. Ich denke an Birdie, meine Schwester, die ich nur drei Monate kannte und nie besser kennen lernen werde, und dann an ihre Mutter, die Samariterin, der ihre jahrelange Erfahrung in der Beratung Hinterbliebener und Verzweifelter jetzt so wenig helfen wird.

41
    Folgendes ist geschehen: Rad war mit Birdie zum Pub in Half Moon Street gefahren. Sie hatten im Restaurant gegessen, und als es schloss, machten sie einen Spaziergang um den See. Er war überrascht, dass sie den Ort schon kannte; ihre Mutter war schon einmal mit ihr dort gewesen, als sie klein war.
    Das Cottage war immer noch leer und mit Brettern vernagelt, und sie waren eine Weile hineingegangen. Es war einwarmer Abend, auf dem Wasser lag ein heller Mond, und Rad hatte vorgeschlagen, nackt zu baden, aber Birdie hatte abgelehnt. Wie ich konnte sie nicht schwimmen. Das alte Boot war immer noch an dem BOOTFAHREN VERBOTEN-Schild festgebunden; Rad war hinausgewatet und hatte es zum Landesteg gezogen. Es sah recht stabil aus und war innen trocken, deshalb ruderte Rad Birdie in die Mitte des Sees hinaus. Er zog die Ruder ein und ließ das Boot sich langsam drehen, und die beiden legten sich zurück, betrachteten die Sterne und redeten. Das Gespräch war auf mich gekommen, und sie hatten träge zu streiten begonnen. Rad sagte halb im Scherz, er würde zurückschwimmen und sie dort im Boot sitzen lassen. Sie sagte, gut, mach doch, ich rudere auch allein zurück, aber erwarte nicht von mir, dass ich reinspringe und dich raushole, wenn du schlappmachst. Rad zog seine Jeans, sein Hemd und seine Schuhe aus und sprang, schwamm in der Hoffnung, dass Birdie ihn nicht sehen würde, so tief und weit unter Wasser wie er konnte. Aber als er wieder durch die Wasseroberfläche brach und sich die nassen Haare aus dem Gesicht schüttelte, sah er, dass sein Sprung das Boot zum Kentern gebracht hatte - die Ruder trieben auf dem Wasser, und Birdie war nirgends zu sehen. Er hatte nach ihr gerufen, bis er heiser war, und die nächsten fünfzehn Minuten war er unter dem Boot getaucht, hatte mit den Armen das Schilf auf dem Grund durchwühlt und war nur keuchend nach oben gekommen, um nach Luft zu schnappen, bevor er wieder tauchte und immer weitere Kreise zog. Das Wasser war schwarz wie die Hölle, und bei seiner verzweifelten Suche wühlte er den Schlamm vom Boden des Sees auf, sodass er in der suppigen Dunkelheit nicht einmal die eigene Hand vor Augen sah. Nach etwas, das ihm vorkam wie Stunden, in Wirklichkeit jedoch nur Minuten waren, als er nichts gefunden hatte außer einem schlammigen Espadrille und kurz davor war, selbst den Geist aufzugeben, quälte er sich zurück ans Ufer und rannte triefnass und fast nackt die halbe Meile zum Pub. Seine Hilfeschreie weckten den Wirt, der an die Tür kam, einen knurrenden Dobermann zurückhielt und Rad, der sich am Fuß verletzt hatte, zusammengesunken auf der Stufe fand. Er war auf dem Feldweg in eine Scherbe getreten, ohne es überhaupt zu bemerken. Der Wirt wickelte ihn in ein Handtuch und ließ ihn im Dunkeln in der Bar sitzen, während er die Polizei rief. Rad wurde ins Krankenhaus gebracht, wo sein Fuß genäht wurde, und war deshalb nicht dabei, als Polizeitaucher um fünf nach eins Birdies Leiche bargen.

42
    Bis zur Beerdigung ist es für mich unmöglich, zu begreifen, dass Birdie tot ist. Ich habe natürlich geweint, oft sogar, und ich habe versucht, mich zu zwingen, es zu verstehen, aber mein Schmerz hat etwas Distanziertes. Ich fühle mich, als wäre ich irgendwo tief in meinem Körper verborgen und würde einer Ausgrabung entgegensehen: Nichts, was dieser Körper tut, ist noch real. Es ist zu früh, um sie zu vermissen, sich auf einer anderen Ebene als der oberflächlichsten klar zu machen, dass ich sie nie wieder sehen werde, egal, wie sehr ich es mir wünsche und brauche, dass ich alt werden und ebenfalls sterben werde, und sie immer noch nicht gesehen haben werde, dass alles andere weiter existieren wird außer Birdie.
    Ich bin nicht stark genug, um es meinem Vater zu sagen. Er erfährt es von Mutter, die mich überrascht hat, weil sie herzzerreißend geschluchzt und dafür gesorgt hat, dass in der Kirche spezielle Gebete für sie

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