Seekers 03: Auf dem Rauchberg
auf und schnupperte. »Wo wollen wir anfangen?«
»Folge mir«, sagte er. Den Höhlen der Krallenlosen den Rücken kehrend, wandte er sich in die Richtung, aus der sie gestern Abend gekommen waren, entfernte sich aber vom Bach, um dem Schwarzpfad aus dem Weg zu gehen. Er bewegte sich schnell und geschmeidig, als wären seine Wunden über Nacht geheilt.
Kalliks Tatzen schienen zu schweben, als sie hinter ihm hertrottete. Sie ging wieder auf Beutejagd mit ihrem Bruder! Vielleicht würde jetzt einiges anders. Vielleicht versuchte er wirklich, sich zu ändern, angefangen damit, dass er Beute für alle machte. Vielleicht hatte er sogar die Absicht, sich bei Toklo dafür zu entschuldigen, dass er ihn verletzt hatte? Hm, so viel Veränderung dann vielleicht doch nicht.
Sie schnupperte an den Büschen, an denen sie vorbeikamen, um zu sehen, ob irgendwelche Beute zu wittern war, aber Taqqiq verlangsamte kaum einmal seinen Schritt. Seine Augen waren fest auf den fernen Rand des Himmels gerichtet. Je weiter sie gingen, desto schneller schien er zu werden.
»Ich habe etwas gerochen«, erklärte sie atemlos, blieb stehen und hob die Nase in die Luft. »Ich glaube, es war ein Kaninchen. Riechst du es auch?«
Taqqiq drehte den Kopf zu ihr, marschierte jedoch weiter. »Nein«, erwiderte er. »Aber hier ist sowieso zu viel offenes Gelände. Da gibt’s für uns nichts zu fangen. Wir sollten uns eine Gegend suchen, wo’s mehr Deckung gibt.«
Kallik glaubte nicht, dass er recht hatte. Sie war sich sicher, ein Kaninchen gewittert zu haben, aber sie wollte nicht mit ihm streiten, wo er doch endlich wieder nett war, also bemühte sie sich, mit ihm Schritt zu halten.
»Erinnerst du dich, wie es war, Robben zu jagen?«, fragte er über die Schulter hinweg. »Es gibt nichts Leckereres auf der Welt. All diese Landtiere schmecken nicht annähernd so gut. Weißt du noch, wie schnell Mutter war? Ich dachte immer, ich würde nie so groß oder so schnell werden. Aber ich wette, inzwischen könnte ich mit ihr mithalten.«
»Das glaub ich ganz bestimmt«, gab Kallik ihm recht. »Ich hab schon so lange kein Robbenfleisch mehr gefressen. Nicht seit …«
Beide verstummten und dachten an die letzte gemeinsame Mahlzeit mit ihrer Mutter.
»Wenn du recht hast und das Meereis tatsächlich zurückkommt«, fuhr Taqqiq schließlich fort, »dann fange ich jede Menge Robben für dich.«
Kallik hoffte zwar, dass sie auch selbst in der Lage sein würde, Robben zu erlegen, dennoch stieß sie ihn dankbar mit der Nase an. »Das wird viel besser sein als immer nur Beeren und Vogeleier.«
»Ich hab mal versucht, ein Vogelei zu klauen«, gestand Taqqiq. »Wäre fast zu Tode gehackt worden dafür.«
»Ich auch!«, rief Kallik. »Ich hatte keine Ahnung, dass Vögel so scharfe Schnauzen haben! Es war furchtbar. Hinterher hat mir noch ganz lange der Kopf wehgetan.«
»Einmal habe ich im Innern eines Feuerbiests etwas zu fressen gefunden«, erzählte Taqqiq. »So hab ich Salik kennengelernt. Wir haben beide versucht herauszufinden, wie man an das Fressen rankommt, ohne das Feuerbiest aufzuwecken. Dabei haben wir dann festgestellt, dass sie so tief schlafen.« Er machte eine Pause. »Ich weiß, dass du Salik nicht mochtest, aber ich wollte nicht allein unterwegs sein. Ich musste ja glauben, dass du und Nisa beide tot seid.«
»Ich kann das verstehen«, erwiderte Kallik sanft. »Ganz im Ernst. Ich hab mich auch einsam gefühlt.«
»Du wusstest wenigstens, dass ich noch am Leben bin«, antwortete Taqqiq. »Ich war mir sicher, dass du tot bist. Ich dachte, ich sei vollkommen allein.«
»Ich hätte das Gleiche getan wie du«, erklärte Kallik. Wenn auch nicht unbedingt mit Salik zusammen . »Ich hätte auch gern andere Bären kennengelernt, die mir erlaubt hätten, mit ihnen zu ziehen. Einmal hab ich das sogar, aber … sie ist gestorben.«
»Was ist passiert?«, fragte Taqqiq.
Kallik erzählte ihm von Nanuk und dem Schwirrvogel, der sie getragen hatte, und davon, wie dieser Vogel vom Himmel gestürzt und in Flammen aufgegangen war. Es war so schön, jemanden zu haben, mit dem sie reden konnte – ihr eigener Bruder, Blut von ihrem Blut, jemand, der dieselben Geburtshöhlengeschichten kannte wie sie. Sie hatte schon ganz vergessen, dass sie ja eigentlich auf der Jagd waren, als sie plötzlich in einer kleinen Senke ins Stolpern geriet und stehen blieb, um sich umzublicken.
Der Schwarzpfad, die Krallenlosenhöhlen und der Bach waren nicht mehr zu sehen, lagen
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