Seekers 03: Auf dem Rauchberg
aufheulen können.
»Ich sehe eine Höhle!«, rief Ujurak da und stieß ihr seine Schnauze in die Seite.
Kallik hob den Kopf und entdeckte im Fels vor ihnen eine Öffnung. Sie war so gelegen, dass man von ihr aus einige Bärenlängen des Baches überblicken konnte, bevor sich dieser als Wasserfall in die Rinne hinabstürzte. Kallik hoffte sehr, dass die Höhle leer war. Sie hatte keine Kraft mehr, andere Tiere zu verscheuchen, die dort vielleicht Schutz gesucht hatten.
Sie folgte Ujurak in die Höhle. Sie war trocken und groß genug für sie alle. Die kalten Felswände waren mit Moos und Resten von Vogelnestern bedeckt. Sobald Toklo die Höhle betreten hatte, sank er auf den sandigen Boden. Sanft schoben Kallik und Ujurak Lusa von seinem Rücken.
Toklo beugte sich schnuppernd über die kleine Schwarzbärin. Ujurak kauerte sich neben sie, um die klaffende Wunde in ihrem Hinterbein und die blutenden Schrammen in der Seite zu untersuchen.
Toklo sah Kallik mit düsterem Blick an. »Ich kenne diesen Geruch«, brummte er. »Mein Bruder Tobi hat auch so gerochen, bevor er gestorben ist.«
Kallik schüttelte den Kopf. Sie konnten Lusa jetzt nicht verlieren, nicht hier und nicht auf diese Weise. »Aber … wir sind doch schon so weit gekommen«, sagte sie leise. »Du hast sie den ganzen Weg getragen … und sie selbst ist vorher schon so weit gewandert …« Sie wusste, dass ihre Worte sinnlos waren. Ein Bär konnte jederzeit sterben, vor allem auf einer Reise, die so voller Gefahren steckte wie ihre. Und die Wunde in Lusas Bein sah ebenso schlimm aus wie Nanuks Verletzungen nach dem Absturz des Schwirrvogels.
Trotzdem durfte es nicht Lusa treffen. Es konnte einfach nicht sein! Die kleine Schwarzbärin hatte einen weiteren Weg zurückgelegt als sie alle: vom behüteten Bärengehege in die ungeschützte Wildnis. Es konnte nicht sein, dass er hier nun zu Ende war!
»Ich kenne diesen Geruch«, sagte Toklo noch einmal.
Kallik legte sich neben Lusa und schmiegte sich an sie, ohne auf das klebrig warme Blut zu achten, das aus Lusas Wunden sickerte. »Nein«, murmelte sie. »Nein, Lusa. Du darfst nicht sterben.«
»Sie ist noch nicht tot«, erklärte Ujurak leise. »Komm, Toklo, lass uns Kräuter suchen. Vielleicht kann ich sie heilen.«
Toklo folgte ihm ohne Widerrede. Allein mit Lusa in der Höhle zurückbleibend, lauschte Kallik dem Plätschern des Regens und dem Heulen des Windes. Sie wollte sich die Hoffnung bewahren, aber insgeheim wusste sie, dass Toklo recht hatte. Auch sie kannte diesen Geruch, es war derselbe, den auch Nanuk verströmt hatte, bevor sie starb.
»Kallik!«, rief Toklo von draußen.
Mühsam erhob sie sich und trottete zur Öffnung der Höhle. Toklo und Ujurak standen dort und starrten auf die tief hängenden Wolken. Der Nebel hatte sich gelichtet, sodass der Blick frei wurde auf scharf umrissene schwarze Berggipfel.
Kallik drehte sich um und blickte in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Sie waren schon viel höher, als sie gedacht hätte! Weit unter ihnen schlängelte sich der Große Fluss wie eine platte braune Schlange durch die Landschaft. Rings um sie herum hingen dunkle Rauchschwaden. Es war, als würden sie aus den Felsen selbst aufsteigen.
Toklo blickte sie aus seinen dunklen Augen vielsagend an. »Wir sind auf dem Rauchberg!«
13. KAPITEL
Lusa
Flauschige, sonnendurchflutete Wolken jagten über den strahlend blauen Himmel, getragen von einer warmen Brise. Das Laub raschelte in den Bäumen und ein Geruch von Blaubeeren und Birnen hing in der Luft. Aus der Ferne wehte das Schnattern von Flachgesichterstimmen heran, es klang wie Vogelgelächter.
Blinzelnd sah Lusa sich um und stellte fest, dass sie auf dem höchsten Ast eines Baumes hockte.
Eines sehr vertraut erscheinenden Baumes.
Lusa hielt den Atem an. Die gewundenen Steinpfade dort unten kannte sie doch, ebenso die Gehege voller seltsam aussehender Tiere! Die lustigen wurden Affen genannt und die rosa Vögel mit den langen Beinen waren Flamingos.
Sie saß auf dem höchsten Baum des »Waldes«, in ihrem alten Bärengehege!
Rasch verließ sie den Ast und kletterte nach unten. Jede Unebenheit, jeder Knoten in den Ästen schien ganz natürlich zu ihren Tatzen zu passen. Unten angelangt, sprang sie auf den Boden und drehte sich um.
Sie war von Schwarzbären umgeben. Nicht von irgendwelchen Schwarzbären, sondern von ihrer Familie.
»Lusa!«, rief Yogi. Er stürzte herbei und stieß sie um. Sie rollten sich im Gras, schlugen
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