Seekers - Am Großen Bärensee - Hunter, E: Seekers - Am Großen Bärensee - Seekers, Great Bear Lake
sie ihr wegnähme.
»Die Eisbären kommen dort zusammen, um das Eis zurückzurufen. Wir befehlen der Sonne, vom Himmel zu steigen, damit die Kälte zurückkehren kann und wir wieder etwas zu fressen finden.«
Kallik sah sie überrascht an. »Das können wir? Das Eis zurückrufen?«
Die Bärin nickte feierlich. »Der See war einst mit dem ewigen Eis verbunden«, erklärte sie. »Doch als das Eis schmolz und schrumpfte, wurde der See abgetrennt und die Bärenseelen unter seiner Oberfläche waren darin gefangen. Viele Bären versammeln sich jetzt dort und zollen dem tiefen, stillen Wasser ihren Respekt. Wir vergessen nie, dass es vor langer Zeit einmal Eis war.«
»Die Seelen sind dort?« Kalliks Herz hüpfte vor Aufregung. Die ihrer Mutter auch? Würde sie Taqqiq dort finden?
Die Bärin hatte Kalliks Frage offenbar nicht gehört. Sie blickte in den Nebel, als könne sie darin etwas sehen, das Kallik nicht sah. »Man sagt, der See liege auf dem Weg, der zum Ort des Ewigen Eises führt.«
»Oh!«, rief Kallik. »Den Ort des Ewigen Eises gibt es wirklich!«
»Manche Bären behaupten, er sei nur eine Legende. Ich weiß, dass es ihn gibt, aber er ist sehr weit weg, weiter, als deine Tatzen dich tragen könnten.«
»Ich muss aber hin«, erklärte Kallik bestimmt. »Ich suche nach meinem Bruder.« Nach einer kurzen Pause fragte sie zaghaft: »Kann ich vielleicht mit dir wandern? Ich würde dir helfen, Beute zu finden.«
Die Bärin schnaubte entrüstet. »Du meinst wohl, du würdest sie mir wegfressen? Nein, am besten wandert jede für sich. Jede stopft ein Maul, jede verteidigt einen Pelz.«
Kalliks Mut sank. »Aber was ist mit den anderen Bären?«, fragte sie. »Die hier ihre Spuren hinterlassen haben?«
»Nur weil viele Bären hier vorbeigekommen sind, heißt das noch lange nicht, dass sie zusammen unterwegs waren«, erwiderte die ältere Bärin und machte sich wieder auf den Weg. Sie sah sich noch einmal kurz um und fügte hinzu: »Hat dir deine Mutter nicht beigebracht, dass Eisbären Einzelgänger sind?«
Nur, wenn sie alt genug sind, dachte Kallik und grub die Krallen in die Erde. Es war ihr klar, dass es nichts nützen würde, der Bärin zu folgen. Sie war nicht wie Nanuk oder die Bärenmutter, die der Schwirrvogel abgesetzt hatte und die bereit gewesen wäre, einem fremden Jungen zu helfen. Kallik setzte sich hin und wartete, bis die riesige weiße Gestalt im Nebel verschwunden war.
Die Einsamkeit hüllte Kallik erneut ein, kalt und schwer wie der Nebel. Sie war auf dem richtigen Weg, aber immer noch allein. Wenn sie Nisa und Taqqiq wirklich in Richtung See hatte wandern sehen, warum hatten sie dann nicht auf sie gewartet? Oder waren die beiden gar nicht wirklich da gewesen und Kallik hatte nur ihre Seelen gesehen? Bedeutete das, dass Taqqiq auch tot war? Welchen Sinn hatte es dann noch, auf der Suche nach ihm zum Ort des Ewigen Eises zu wandern?
Plötzlich begann Kalliks Pelz zu jucken. Nisa muss mir den Weg gewiesen haben!, dachte sie . Sie hat gesagt, sie würde sich um mich kümmern. Ich muss weitergehen. Außerdem will ich den See sehen, von dem die Bärin mir erzählt hat. Auch wenn ich Taqqiq nicht finde, erfahre ich vielleicht, was mit ihm geschehen ist.
Kallik rappelte sich auf und wanderte weiter. Eine schwache Brise kam auf und trennte den Nebel in dünne Schwaden. Bald konnte Kallik wieder erkennen, wohin sie ging. Sie folgte der Bärenspur durch die trostlose, unfreundliche Landschaft aus Morast, Schilfgras und verkümmerten Sträuchern. Weit vor sich sah sie einen weißen Punkt – die Bärin, vermutete sie. Noch weiter in der Ferne konnte Kallik zwei oder drei andere weiße Punkte erkennen, die alle in dieselbe Richtung wanderten. Sie folgte ihnen, versuchte sie aber nicht einzuholen. Das waren nicht Nisa oder Taqqiq und sie wollten Kallik vermutlich nicht dabeihaben.
Ein kalter Wind blies ihr ins Gesicht und frischte auf, bis sie bei jedem Schritt gegen ihn ankämpfen musste. Graue Wolken zogen über den Himmel, bis schließlich Regen einsetzte, der immer stärker wurde. Bald war Kalliks Fell durchnässt, und sie watete durch tiefen Morast, der ihr das Gehen schwer machte. Mit hängendem Kopf kämpfte sie sich weiter. Jeder Schritt war anstrengender als der letzte.
»Ich muss einen Unterschlupf finden«, murmelte sie.
Sie sah sich um, konnte aber in dem peitschenden Regen nichts erkennen. Fast war sie bereit, sich in den Matsch zu legen, doch sie fürchtete, dass sie dann nie wieder
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