Seekers - Die Suche beginnt - Hunter, E: Seekers - Die Suche beginnt
einmal ihren Unterschlupf verlassen konnte. Dann blieb sie im Schatten liegen, unter einer Schicht von Ästen und Zweigen, und versuchte Kräfte zu sparen und nicht zu überhitzen. Es fiel ihr allerdings schwer zu schlafen, weil der Boden feucht war und ständig Insekten um ihre Schnauze herumschwirrten.
Jeden Tag dachte sie an Taqqiq und fragte sich, wie es ihm wohl ging. Erinnerte er sich noch an all das, was ihre Mutter ihnen beigebracht hatte?
Eines Morgens stieß sie auf einen seltsamen Unterschlupf, der nach einem Tier roch, dem sie noch nicht begegnet war. Der Unterschlupf war groß, hatte flache, aus toten Bäumen bestehende Wände und lag erhöht, auf langen Beinen, über dem feuchten Boden. Verblasste Gerüche von unbekannter Nahrung gingen von ihm aus, aber er schien verlassen, die Bewohner waren offenbar verschwunden, jedenfalls für eine Weile.
Sie beschnupperte den Unterschlupf von allen Seiten, fand jedoch keinen Eingang. Dennoch gab sie die Hoffnung nicht auf und untersuchte die nähere Umgebung danach, ob sich vielleicht Reste von Fressbarem aufspüren ließen.
Aha! Da war eine Delle im feuchten Boden und halb vergraben darin lagen zwei leicht gesprenkelte, braune Eier. Sie hatte auf ihrer Reise schon einige Eier gesehen, aber immer nur an Stellen, an die sie nicht herankam. Sie war sich jedoch ziemlich sicher, dass sie sie fressen konnte. Es war im Prinzip derselbe Fall wie bei den Robbenjungen, die ihre Mutter aus ihrer Höhle gezogen hatte. Diese Eier waren der Anfang von Vögeln, und Kallik wusste, dass sie Vögel fressen konnte.
Sie kauerte sich flach auf den Boden, wie sie es von ihrer Mutter gelernt hatte, und kroch auf dem Bauch vorwärts, so langsam und leise wie möglich. Sie malte sich aus, wie sie die Schale knackte, und vor lauter Vorfreude lief ihr das Wasser schon im Maul zusammen. Immer näher kroch sie, in Erwartung des köstlichen Geschmacks der Eier …
Da ertönte ein wütendes Kreischen vom Himmel. Bevor Kallik Gelegenheit hatte, sich wegzurollen, stürzte sich ein Vogel auf sie und kratzte und hackte mit dem Schnabel auf ihren Kopf ein. Kallik blieb fast das Herz stehen vor Schreck, während sie dem Angreifer auszuweichen versuchte. Noch einmal kreischte der Vogel, stieg kurz in die Luft und schoss dann wieder herab, um ihr mit seinen Klauen zuzusetzen. Sein scharfer Schnabel hämmerte gegen ihren Kopf und die Krallen kratzten, knapp an ihren Augen vorbei, über ihre Schnauze.
Entsetzt trat Kallik die Flucht an. Der Vogel verfolgte sie durchs ganze Moor und ließ erst von ihr ab, als sie in eine Gruppe von Bäumen stolperte, unter deren dichtem Blätterdach sie Schutz fand. Sie konnte seine wütenden Schreie noch hören, als er schon abgedreht war und zu seinem Nest zurückflog.
Kallik rollte sich zusammen und fühlte sich furchtbar elend. Sie war noch nicht einmal imstande, ein paar Eier zu ergattern, die einfach nur dalagen. Wie sollte sie da jemals richtige Beute erlegen, ohne Hilfe? Das Festland war einfach zu fremd und zu beängstigend. Sie gehörte aufs Eis, dorthin, wo die Bärenseelen ihre Schritte lenkten und der Schneewind durch ihr Fell pfiff.
Vielleicht sollte sie versuchen, den Ort des Wegweisersterns zu finden, wo das Meer in alle Ewigkeit gefroren war und die Seelen in vielfältigen Farben am Himmel tanzten. Ganz gleich, wie weit entfernt dieser Ort war, es konnte dort nur besser sein als in diesem Albtraum hier aus Schlamm, Hitze und Hunger. Vielleicht war Taqqiq diesen Weg auch schon gegangen? Vielleicht war das der einzige Ort, an dem ein Eisbär wirklich Ruhe und Sicherheit fand?
11. KAPITEL
Lusa
Lusa starrte traurig auf die verschlossenen Türen. Die Wände des Geheges gaben ihr überhaupt kein Gefühl der Behaglichkeit und Geborgenheit mehr. Stattdessen kamen sie ihr hart und unfreundlich vor, denn sie hielten sie an einem Ort fest, an dem sie nicht sein wollte. Sie wollte wissen, was draußen vor sich ging. Sie wollte bei der kranken Ashia sein und ihr beistehen, aber man ließ sie nicht. Es gab für Lusa keine Möglichkeit zu erfahren, was mit ihr passierte.
Was, wenn man ihre Mutter für immer fortgeschafft hatte?
Vier Schlafzeiten vergingen, und am Morgen des fünften Tages begann Lusa in ihrer Verzweiflung, an den Wänden des Geheges auf und ab zu laufen. Was geschah wohl, fragte sie sich, wenn ein Bär in der Wildnis krank wurde? Zumindest hätte sie dann die Möglichkeit, bei ihrer Mutter zu bleiben, um zu sehen, wie es ihr ging. Sie
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