Seekers - Feuer im Himmel - Band 5
begutachten ihn ebenfalls. Ujurak war überrascht, dass er ihr Knuffen nicht als aufdringlich empfand, sondern als freundlich und beruhigend.
»Warst du wirklich so nah an dem Giftbiest dran?«, fragte einer von ihnen. »Hat es dir Angst gemacht?«
»Oh ja«, erwiderte Ujurak. »Es war schrecklich.«
»Wo kommst du her?«, fragte ein männlicher Beluga mit einem lauten Pfeifen. »Gibt es da, wo du geschwommen bist, etwas zu jagen?«
»Wo ist der Rest deiner Gruppe?«, fiel ein junges Weibchen ein.
»Ich … ich weiß es nicht genau«, stammelte Ujurak, der verzweifelt in seinem Gedächtnis kramte. Vor der Begegnung mit dem Giftbiest konnte er sich an nichts erinnern. Würden die Wale ihm das glauben?
»Ich komme von weit her«, sagte er schließlich. »Ich bin einer Strömung gefolgt, weil es da, wo ich … äh, vorher … war, nicht genug zu jagen gab.«
»Also, hier ist es auch nicht besser!«, erklärte der männliche Wal. »Am besten gehst du wieder zurück!«
»Oh, sei nicht so unhöflich.« Einer der älteren Wale stieß den jüngeren beiseite. »Lasst den armen Kerl erst einmal ausruhen. Du kannst ihn später noch mit deinen Fragen löchern.«
»Na gut.« Der junge Beluga spritzte Ujurak mit der Schwanzflosse voll, als er davonschwamm. Auch die anderen ließen Ujurak allein. Sie unterhielten sich leise und sahen sich immer wieder neugierig zu ihm um.
»Achte nicht auf sie«, sagte der alte Wal. »Die Welt, in der sie leben, ist anders als die, in der ich aufgewachsen bin. Ich heiße Kassuk.«
»Ich bin Ujurak«, antwortete Ujurak, dankbar, dass ihm weitere unangenehme Fragen erspart blieben. »Warum ist Uglu so schnell wieder verschwunden?«
Kassuk seufzte. »Arme Uglu. Sie hat vor nicht allzu langer Zeit ihr Kalb Pukak verloren. Pukak ging auf die Jagd und kehrte nie zurück. Jetzt sucht sie jeden Tag nach ihm.« Der alte Wal fuhr traurig mit einer Brustflosse durchs Wasser. »Er muss tot sein. Ein junger Wal wie er würde nie allein überleben. Wahrscheinlich ist er zu tief in das Revier der Giftbiester vorgedrungen und wurde getötet. Aber Uglu sieht das nicht ein. Wenn wir mit ihr darüber reden wollen, hört sie gar nicht zu. Sie sucht einfach immer weiter.«
»Pukak«, wiederholte Ujurak. »So hat sie mich genannt, als sie mich zum ersten Mal gesehen hat.« Trauer um die Mutter, die nach ihrem verlorenen Kalb suchte, erfasste ihn.
»Sie wird bald wieder da sein, um zu schlafen«, versicherte ihm Kassuk. »Du kannst über Nacht bei uns bleiben, wenn du möchtest, und am Morgen weiter nach deiner Gruppe suchen. Zur Not kannst du auch bei uns bleiben. Du siehst nicht aus, als würdest du Ärger machen.« Er bespritzte Ujurak freundlich mit Wasser.
»Danke«, sagte Ujurak, »das ist sehr nett.« Er wusste nicht, wo er sonst schlafen sollte, und hier fühlte er sich sicher, umgeben von so vielen anderen Walen.
Im Mondschein sah Ujurak Uglu aus der Tiefe auftauchen und sich zu ihnen gesellen. Ihre kleinen runden Augen waren im silbernen Licht unergründlich. Sie sah nicht aus, als hätte sie ihr Kalb gefunden, aber gramerfüllt wirkte sie auch nicht. Glaubte sie wirklich, dass Pukak noch am Leben war, irgendwo da unten im schwarzen Meer?
Die Belugas sammelten sich, eng aneinandergeschmiegt, an der Wasseroberfläche. Bald waren die meisten eingeschlafen. Ujurak blieb noch eine Weile wach und kramte in seiner Erinnerung. Das Giftbiest und das felsfressende Ungeheuer hatten ihm Angst eingejagt. Er spürte, dass er mehr darüber wissen müsste. Doch seine Gedanken drifteten mit den leise klatschenden Wellen ab und bald schlief auch er.
Am nächsten Morgen nahmen Kassuk und ein paar der jungen Wale Ujurak mit auf die Jagd. Freude blubberte in ihm hoch, als er ihnen half, Schwärme silberner Fische zusammenzutreiben. Wenn die anderen Wale die Fische in die Enge getrieben hatten, war es ein Leichtes, mit geöffnetem Maul in den Schwarm zu stoßen und zumindest ein paar davon zu fressen. Dennoch begriff er, warum sich die Belugas Sorgen machten. Es war nicht leicht, einen Schwarm zu finden, der groß genug war für sie alle. Viele Fische sahen so matt und kränklich aus wie die, die er in der Nähe des felsfressenden Ungeheuers gesehen hatte.
Als sie wieder am Atemloch waren und sich die Morgensonne auf die blasse Haut scheinen ließen, fragte er Kassuk: »Ist die Jagd überall so schwierig?«
Kassuk seufzte. »Mittlerweile schon. Früher konnte man sich vor lauter Fischen kaum rühren. Manche
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