Seekers - Feuer im Himmel - Band 5
blendend weißen Schnee davon.
Lusa raste zu Ujurak. Sie war kurz vor Toklo und Kallik dort. »Ujurak!«, keuchte sie und presste die Nase in sein Fell. »Was ist mit dir? Ujurak!«
Zu ihrer Erleichterung schnappte der Freund zitternd nach Luft und rappelte sich auf.
Toklo explodierte. »Was hast du dir nur dabei gedacht? Wolltest du es ganz allein mit einem ausgewachsenen Eisbären aufnehmen? Du hättest dich wenigstens vorher in einen Eisbären verwandeln können, du Hamsterhirn!«
»Nein!«, rief Ujurak. »Ich bin ein Braunbär und ich kämpfe auch wie einer! Wir brauchen Nahrung, warum sollte ich also nicht helfen, unser Fressen zu verteidigen? Braunbären tun so etwas, oder etwa nicht?« Er leckte sich die verletzte Schulter.
Lusa fand Ujuraks Verhalten äußerst merkwürdig. Er griff nie zu Gewalt, wenn es sich vermeiden ließ.
»Wie wäre es, wenn du ab jetzt uns das Kämpfen überlässt?«, schlug Kallik vor.
Als Ujurak zögerte, warf Lusa ein: »Es ist ja nicht so, dass du nicht stark wärst, Ujurak! Aber wenn dir etwas zustößt, sind wir alle verloren. Dann wissen wir nicht, wo wir hinmüssen und was wir tun sollen. Die Suche wäre vorbei. Verstehst du das denn nicht?«
Es folgte ein angespanntes Schweigen. Ujurak kratzte mit den Vordertatzen im Schnee. »Ja, gut«, brummte er schließlich.
»Die Robbe!«, brüllte Toklo da. »Sie ist weg!«
»Weg!« Kallik drängte sich an ihm vorbei und rannte zum Atemloch. Das Eis war dort, wo der Kadaver gelegen hatte, voller Blut, doch von der Robbe war nichts mehr zu sehen. »Wie … wo ist sie hin?« Sie blickte ratlos ins dunkle Wasser, als wäre die Robbe zum Leben erwacht und davongeschwommen.
Lusa wurde schlagartig alles klar. »Die Bärenmutter!«, rief sie. »Sie muss sich damit davongemacht haben, während ihr gekämpft habt.«
»Wie kann sie es wagen!«, entrüstete sich Toklo.
»Na ja, es war ja eigentlich ihre«, wandte Lusa ein.
»Aber nur, bis wir sie hatten«, gab Toklo zurück. »Du hättest ein Auge darauf haben sollen!«
»Oh, natürlich!«, brauste Lusa auf. »Weil ich sie ja auch hätte aufhalten können! Womit denn, mit meinen nutzlosen winzigen Krallen etwa?« Sie schleuderte eine Tatze voll Schnee auf Toklo und drehte ihm, vor Wut schnaubend, den Rücken zu.
Eine Weile schwiegen sie, dann gesellte sich Kallik zu Lusa. »Es ist nicht deine Schuld. Du brauchst dich nicht vor fremden Eisbären zu fürchten. Wir werden dich beschützen.«
»Ich weiß«, brummte Lusa. »Du warst klasse, Kallik. Ist schon gut.«
Aber auch das war eine Lüge. Nach dem Anblick des Eisbären und seinen Worten über Schwarz- und Braunbären war ihr noch unbehaglicher zumute als vorher. Sie hatte keinen Gedanken daran verschwendet, wie sehr sie im Schnee auffiel. Eisbären konnten sie wahrscheinlich schon aus vielen Himmelslängen Entfernung sehen. Oder riechen, wenn sie eine so gute Nase hatten wie Kallik.
»Gehen wir weiter.« Ujurak marschierte los, in die Richtung, in der die Bärenmutter verschwunden war. Lusa witterte den Robbenkadaver und war froh, dass Toklo nicht vorschlug, dem Geruch zu folgen. Im Moment konnte sie den Gedanken an Fressen sowieso nicht ertragen.
Kallik übernahm wieder die Führung, dicht gefolgt von Toklo. Widerwillig setzte sich Lusa ebenfalls in Bewegung. Sie musste es von der guten Seite betrachten. Sie hatten einen großen Eisbären vertrieben. Und vielleicht mussten sie gar nicht mehr so lange hier draußen sein. Vielleicht erfuhren sie schon bald, was sie zu tun hatten, retteten die Wildnis und konnten wieder aufs Festland zurückkehren.
Vor allem aber würde es bald Nacht werden. Dann konnte Lusa wieder schlafen.
9. KAPITEL
Kallik
Ein kalter Nachtwind fegte über das Eis, doch in der Schneehöhle war es warm und gemütlich. Kallik betrachtete Lusas Rücken, der sich im Schlaf langsam hob und senkte. In dem Knäuel, das sie zum Schlafen gebildet hatten, war es schwer zu unterscheiden, welcher Pelz zu Toklo und welcher zu Ujurak gehörte. Kallik schoss eine Erinnerung an Nisa und Taqqiq durch den Kopf, mit denen sie sich ähnlich zusammengekuschelt hatte. Sie war so stark, dass Kallik fast den warmen Atem ihrer Mutter riechen und den Körper ihres Bruders an ihrer Flanke spüren konnte.
Die Seele ihrer Mutter war ihr hier draußen ganz nah. Nisa schien sie aus jeder Luftblase im Eis zu beobachten, aus dem Schneestaub, der vom Wind durch die Luft getragen wurde, und aus den hellen Eisflecken am Himmel.
Kallik
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