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Seelen der Nacht

Seelen der Nacht

Titel: Seelen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Harkness
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erinnern, je einen so starken Beschützerinstinkt empfunden zu haben. Gleichzeitig machten sich andere Gefühle bemerkbar, die er aber weder wahrhaben noch benennen wollte.
    Sie ist eine Hexe , ermahnte er sich, während er sie beim Schlafen beobachtete. Sie ist nichts für dich.
    Je öfter er sich das vorsagte, desto weniger schien es zu bedeuten.
    Schließlich löste er sich sanft von ihr und schlich aus dem Zimmer, nicht ohne die Tür einen Spalt weit offen zu lassen, falls sie wach werden sollte.
    Erst als der Vampir allein im Flur stand, ließ er zu, dass der kalte Zorn aufstieg, der seit Stunden in ihm brodelte. Er zog die Lederkordel aus dem Kragen seines Pullovers und nahm den warmen, glatten Silbersarg in die Hand. Nur Dianas regelmäßiger Atem hielt ihn davon ab, sich in die Nacht zu stürzen und zwei Hexen zur Strecke zu bringen.
    Die Uhren Oxfords schlugen acht, und ihr vertrauter, träger Klang erinnerte Matthew an den entgangenen Anruf. Er zog das Handy aus der Tasche, ging die Meldungen durch und überflog die automatischen Benachrichtigungen der Sicherheitssysteme am Labor und an der Old Lodge. Marcus hatte gleich mehrere Nachrichten aufgesprochen.

    Stirnrunzelnd rief Matthew die Mailbox an. Marcus war sonst nicht leicht aus der Ruhe zu bringen. Was war so dringend?
    »Matthew.« Der vertrauten Stimme fehlte der übliche verspielte Charme. »Ich habe die Auswertungen von Dianas DNA-Analyse bekommen. Sie sind … überraschend. Ruf mich an.«
    Noch bevor die Aufnahme zu Ende war, hatte der Finger des Vampirs die Kurzwahltaste gedrückt. Er fuhr sich mit der freien Hand durch die Haare und wartete darauf, dass Marcus antwortete. Der meldete sich schon nach dem ersten Läuten.
    »Matthew.« In Marcus’ Stimme lag keine Wärme, nur Erleichterung. Seit Stunden hatte er Nachrichten hinterlassen. Marcus hatte Matthew sogar in dessen Lieblingsversteck in Oxford gesucht, im Pitt Rivers Museum, wo der Vampir oft nachdenklich zwischen dem Skelett eines Iguanodons und einer Darwin-Statue hin und her wandelte. Mit seinen unaufhörlichen Fragen, wo Matthew stecken könnte und mit wem er wohl zusammen war, hatte er Miriam so genervt, dass sie ihn schließlich aus dem Labor geworfen hatte.
    »Natürlich ist er bei ihr«, hatte Miriam am Spätnachmittag mit tiefer Missbilligung verkündet. »Wo sollte er sonst sein? Und wenn du nicht arbeitest, dann geh nach Hause und warte dort auf seinen Anruf. Hier bist du mir nur im Weg.«
    »Was haben die Tests ergeben?« Matthew sprach leise, trotzdem war sein Zorn zu hören.
    »Was ist passiert?«, fragte Marcus sofort.
    Matthews Blick fiel auf ein Bild, das im Bad auf dem Boden lag. Diana hatte es am Nachmittag an ihre Brust gedrückt. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, während er es betrachtete. »Wo bist du?«, fragte er heiser.
    »Zu Hause«, antwortete Marcus unruhig.
    Matthew hob das Foto auf und verfolgte dessen Duft bis zu einem Stück Papier, das halb unter die Couch gerutscht war. Er las die Nachricht darauf und holte scharf Luft. »Bring die Berichte und meinen Pass ins New College. Dianas Apartment liegt im Gartenhof, Aufgang sieben, unter dem Dach.«

    Zwanzig Minuten später öffnete Matthew die Tür, mit zu Berge stehenden Haaren und wildem Blick. Der jüngere Vampir musste sich zusammenreißen, um nicht einen Schritt zurückzuweichen.
    Dann streckte er Matthew mit einer abgemessenen Geste den dunkelroten Pass hin, in dem ein brauner Umschlag steckte, und wartete geduldig ab. Er würde die Räume der Hexe nicht betreten, solange ihn Matthew nicht dazu forderte, nicht solange der Vampir so erregt war.
    Die Aufforderung ließ auf sich warten, aber schließlich nahm Matthew den Umschlag entgegen und trat zur Seite, um Marcus einzulassen.
    Während Matthew Dianas Testergebnisse unter die Lupe nahm, sah Marcus ihn prüfend an. Seine scharfe Nase filterte den Geruch von altem Holz und abgetragenen Textilien heraus und erspürte darunter die Angst der Hexe und den mühsam gezügelten Zorn des Vampirs. Das explosive Gemisch ließ ihm die Haare zu Berge stehen und ein Knurren in seine Kehle steigen.
    Im Lauf der Jahre hatte Marcus Matthews gute Eigenschaften zu schätzen gelernt  – sein Mitgefühl, sein Gewissen, seine Geduld mit jenen, die er liebte. Doch er kannte auch seinen Zorn. Oft war Matthews Zorn so zerstörerisch, dass der Vampir, nachdem er das Gift ausgeschieden hatte, über Monate oder Jahre verschwand, um zu verarbeiten, was er angerichtet

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