Seelen der Nacht
hatte.
Und Marcus hatte seinen Vater noch nie so zornig erlebt wie jetzt.
Matthew Clairmont war im Jahr 1777 in Marcus’ Leben getreten und hatte es verändert – für alle Zeiten. Er hatte das Bauernhaus der Bennetts an der Seite einer improvisierten Trage betreten, auf der man den verwundeten Marquis de Lafayette vom Schlachtfeld bei Brandywine getragen hatte. Matthew hatte alle anderen Männer überragt und jedem Befehle zugebellt, selbst wenn der andere ranghöher war.
Niemand widersetzte sich seinen Anordnungen – nicht einmal Lafayette selbst, der trotz seiner Verletzungen mit seinen Freunden scherzte. Allerdings handelte sich der Marquis mit seinen Witzeleien
eine scharfe Rüge von Matthew ein. Als Lafayette protestierte, er käme durchaus zurecht, man solle sich lieber um schwerer verwundete Soldaten kümmern, stieß Clairmont einen Schwall französischer Flüche und Drohungen aus, der die anderen Männer ehrfürchtig zurückweichen ließ und den Marquis zum Verstummen brachte.
Marcus hatte mit großen Ohren zugehört, wie der französische Soldat den ehrenwerten Dr. Shippen, den Chef des Ärztekorps, beschimpft und seinen Behandlungsvorschlag als »barbarisch« verworfen hatte. Clairmont hatte verlangt, dass Lafayette stattdessen vom zweiten Arzt John Cochran behandelt werden sollte. Zwei Tage später konnte man hören, wie Clairmont und Shippen in flüssigem Latein über die Feinheiten der Anatomie und Physiologie diskutierten – zum Ergötzen des medizinischen Stabes und General Washingtons.
Matthew hatte eine beträchtliche Anzahl von britischen Soldaten getötet, bevor die Kontinentalarmee geschlagen worden war. Die Männer, die ins Lazarett gebracht wurden, erzählten unglaubliche Geschichten darüber, wie furchtlos er in die Schlacht gegangen war. Manche behaupteten, er sei direkt in die feindlichen Linien marschiert, ohne sich um Kugeln oder Bajonette zu scheren. Als die Waffen endlich schwiegen, beharrte Clairmont darauf, dass Marcus als Pfleger bei dem Marquis bleiben sollte.
Nachdem Lafayette im Herbst wieder reiten konnte, verschwanden Clairmont und er in den Wäldern Pennsylvanias und New Yorks. Von dort kehrten sie mit einer Armee von Oneida-Kriegern zurück. Die Oneida nannten Lafayette wegen seiner Reitkünste »Kayewla«. Matthew tauften sie wegen seiner Fähigkeiten, die Männer in die Schlacht zu führen, »Atlutanu’n«, Kriegsherr.
Matthew blieb noch lange bei der Armee, selbst nachdem Lafayette nach Frankreich zurückgekehrt war. Auch Marcus leistete weiter Dienst, und zwar als einfacher Assistent des Chirurgen. Tag für Tag versuchte er die Wunden zu heilen, die den Soldaten durch Musketen, Kanonen oder Schwerter zugefügt worden waren. Jedes Mal, wenn einer seiner Männer verletzt wurde, wandte sich Clairmont an ihn. Marcus, meinte er, besäße die Gabe des Heilens.
Kurz nachdem die Kontinentalarmee 1781 in Yorktown einmarschierte, wurde Marcus von einem Fieber niedergestreckt. Plötzlich nützte ihm seine Gabe als Heiler nichts mehr. Frierend und schlotternd lag er da und wurde nur versorgt, wenn jemand etwas Zeit erübrigen konnte. Nachdem er vier Tage lang gelitten hatte, wusste Marcus, dass er sterben würde. Als Clairmont, jetzt wieder in Begleitung Lafayettes, ins Lazarett kam, um einige seiner verwundeten Männer zu besuchen, sah er Marcus auf einer durchgebrochenen Pritsche im Eck liegen und roch den Tod in ihm.
Kurz bevor die Nacht dem Tag wich, setzte sich der französische Offizier zu dem jungen Mann und erzählte ihm seine Geschichte. Marcus glaubte zu träumen. Ein Mann, der Blut trank und es unmöglich fand zu sterben? Nachdem Marcus das gehört hatte, war er beinahe überzeugt, bereits gestorben zu sein und nun von einem der Teufel gequält zu werden, die eines Tages seine sündige Seele fressen würden, wie ihn sein Vater stets gewarnt hatte.
Der Vampir erklärte ihm, dass er das Fieber überleben konnte, aber dass er einen Preis dafür zahlen musste. Erst müsste er wiedergeboren werden. Danach müsste er jagen und töten und Blut trinken – sogar menschliches Blut. Eine gewisse Zeit würde es ihm seine Blutgier unmöglich machen, unter Verwundeten oder Kranken zu arbeiten. Matthew versprach, Marcus an die Universität zu schicken, damit er sich an sein neues Leben gewöhnen konnte.
Als irgendwann in der Morgendämmerung der Schmerz unerträglich wurde, beschloss Marcus, dass er leben wollte, selbst wenn er sich vor dem neuen Leben
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