Seelen der Nacht
Vater während einer äußerst peinlichen Befragung, der einige der ältesten und mächtigsten Vampire in der Stadt beiwohnten, »dann lass mehr Umsicht walten.« Marcus erbleichte immer noch, wenn er an das Gespräch dachte.
Wer oder was Matthew und Juliette die Autorität verliehen hatte, so rücksichtslos durchzugreifen, war ihm immer noch ein Rätsel. Die Stärke seines Vaters, Juliettes Verschlagenheit und der Name de Clermont hatten möglicherweise dazu beigetragen, dass die Vampire sie unterstützt hatten. Aber das konnte keinesfalls alles gewesen sein. Alle Geschöpfe in New Orleans – selbst die Hexen – hatten seinen Vater wie einen König behandelt.
Marcus fragte sich, ob sein Vater damals zur Kongregation gehört hatte. Das würde vieles erklären.
Matthews Stimme verlieh den Erinnerungen seines Sohnes Flügel. »Diana mag tapfer sein, Marcus, aber sie muss noch nicht alles wissen.« Er ließ Marcus los und trat einen Schritt zurück.
»Weiß sie über unsere Familie Bescheid? Deine anderen Kinder?« Weiß sie über deinen Vater Bescheid? Das Letzte behielt Marcus für sich.
Matthew wusste auch so, was er dachte. »Ich erzähle keine Geschichten über andere Vampire.«
»Du machst einen Fehler«, warnte Marcus ihn kopfschüttelnd. »Diana wird es dir nicht danken, wenn du ihr so viel verschweigst.«
»Das hat Hamish auch gesagt. Wenn sie bereit ist, werde ich ihr
alles erzählen – aber vorher nicht«, sagte sein Vater entschlossen. »Im Moment geht es mir nur darum, Diana aus Oxford wegzuschaffen.«
»Wirst du sie nach Schottland bringen? Dort ist sie bestimmt außer Gefahr.« Marcus dachte sofort an Hamishs abgelegenes Gutshaus. »Oder lässt du sie in Woodstock, bevor du aufbrichst?«
»Bevor ich wohin aufbreche?« Matthew sah ihn verdattert an.
»Du hast mir aufgetragen, deinen Pass mitzubringen.« Jetzt war Marcus verdattert. Sonst machte es sein Vater immer so – wenn er wütend wurde, verschwand er, bis er sich wieder in der Gewalt hatte.
»Ich habe nicht vor, Diana allein zu lassen«, erklärte Matthew eisig. »Ich bringe sie nach Sept-Tours.«
»Du kannst sie doch unmöglich unter ein Dach mit Ysabeau stecken!« Marcus’ entsetzte Stimme klang brüchig in der Enge des Zimmers.
»Es ist auch mein Heim.« Matthew hatte das Kinn bockig vorgeschoben.
»Deine Mutter prahlt damit, wie viele Hexen sie schon getötet hat, und sie gibt jeder Hexe, die ihr über den Weg läuft, die Schuld an dem, was Louisa und deinem Vater widerfahren ist.«
Matthews Miene fiel in sich zusammen, und endlich verstand Marcus. Das Foto hatte Matthew an Philippes Tod und an die folgenden Jahre erinnert, in denen Ysabeau gegen den Irrsinn angekämpft hatte.
Matthew presste die Handflächen gegen seine Schläfen, als würde er mit aller Gewalt versuchen, sich einen besseren Plan ins Hirn zu drücken. »Diana hatte weder mit der einen, noch mit der anderen Tragödie etwas zu tun. Das wird Ysabeau verstehen.«
»Das wird sie nicht – wie du genau weißt«, widersprach Marcus stur. Er liebte seine Großmutter und wollte nicht, dass ihr wehgetan wurde. Und wenn Matthew – ihr Liebling – eine Hexe mit nach Hause bringen würde, würde ihr das wehtun. Höllisch.
»Nirgendwo ist sie so sicher wie in Sept-Tours. Die Hexen werden es sich zweimal überlegen, bevor sie sich mit Ysabeau anlegen – noch dazu in ihrem eigenen Heim.«
»Um Gottes willen, lass die beiden nicht allein.«
»Das werde ich auch nicht«, versprach Matthew. »Du ziehst zusammen mit Miriam ins Torhaus, das sollte hoffentlich alle überzeugen, dass Diana sich dort versteckt. Irgendwann wird man den Schwindel bemerken, aber vielleicht gewinnen wir dadurch ein paar Tage. Meine Schlüssel liegen beim Pförtner. In ein paar Stunden, wenn wir weg sind, kommst du wieder her. Du nimmst ihre Bettdecke mit – an der ihr Geruch hängt – und fährst damit nach Woodstock. Dort bleibst du, bis du von mir hörst.«
»Kannst du dich und die Hexe gleichzeitig beschützen?«, fragte Marcus milde.
»Ich werde das schon schaffen«, antwortete Matthew überzeugt.
Marcus nickte, dann hielten sich die beiden Vampire an den Unterarmen und tauschten einen tiefen Blick aus. Alles, was sie einander in Augenblicken wie diesem zu sagen hatten, war längst gesagt.
Als Matthew wieder allein war, ließ er sich aufs Sofa sinken und stützte den Kopf in beide Hände. Marcus’ vehementer Widerstand hatte ihn verunsichert.
Er schaute
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