Seelen der Nacht
bei mir alle Alarmglocken.
Ich warf die Decke beiseite und schwang die Beine über die Bettkante. »Der Einbruch sollte Matthew provozieren. Er ist nach Oxford geflogen, weil er glaubt, mit Knox einen Handel unter Ehrenmännern abschließen zu können. Wir müssen ihn warnen.«
Ysabeaus Hände kamen fest auf meinen Schultern zu liegen.
»Das ist ihm klar, Diana.«
Ich verarbeitete diese Neuigkeit. »Wollte er mich darum nicht nach Oxford mitnehmen? Ist er in Gefahr?«
»Natürlich ist er in Gefahr«, bestätigte Ysabeau scharf. »Aber er wird tun, was er kann, um der Sache ein Ende zu machen.« Sie hob meine Beine aufs Bett zurück und stopfte die Decke um mich herum fest.
»Ich sollte bei ihm sein«, protestierte ich.
»Sie würden ihn nur ablenken. Sie bleiben hier, so wie er es verlangt.«
»Habe ich denn gar kein Mitspracherecht?«, fragte ich zum x-ten Mal, seit ich nach Sept-Tours gekommen war.
»Nein«, antworteten beide Frauen wie aus einem Mund.
»Sie müssen wirklich noch sehr viel über uns Vampire lernen«, sagte Ysabeau wieder, doch diesmal klang sie fast resigniert.
Ich musste tatsächlich noch viel über Vampire lernen. Das wusste ich.
Aber wer würde es mir beibringen? Und wann?
24
A us weiter Ferne gewahrte ich eine schwarze Wolke, die die Erde überzog und sie verschlang und meine Seele bedeckte, bis die Wasser in sie einströmten und sie faulig und verderbt wurde, weil sie die untere Hölle und den Schatten des Todes gesehen hatte. Ein Sturm hatte mich ertränkt«, las ich laut in Matthews Ausgabe der Aurora Consurgens .
Ich beugte mich über den Computer und tippte meine Anmerkungen zu der Bildsprache ein, mit der dieser unbekannte Autor das Nigredo , einen der gefährlichen Schritte bei der alchemistischen Transformation, umschrieben hatte. In diesem Abschnitt des Verwandlungsprozesses gaben die vermischten Substanzen wie Quecksilber und Blei giftige Dämpfe ab, die dem Alchemisten gefährlich werden konnten. Passenderweise hielt sich eine der Fratzen, die Bourgot le Noir gemalt hatte, die Nase zu, um die im Text erwähnte Wolke nicht zu riechen.
»Ziehen Sie sich die Reitsachen an.«
Ich sah von den Manuskriptseiten auf.
»Matthew hat mir das Versprechen abgenommen, mit Ihnen ins Freie zu gehen. Er sagte, Sie bräuchten das, damit Sie nicht krank werden«, erklärte Ysabeau.
»Das ist nicht nötig, Ysabeau. Domenico und die Hexenflut haben meine Adrenalinvorräte erschöpft, falls Sie sich deswegen Sorgen machen.«
»Matthew hat Ihnen doch bestimmt erzählt, wie betörend Angst für Vampire riecht.«
»Marcus hat es mir erzählt«, berichtigte ich. »Genauer gesagt hat er mir erzählt, wie Angst schmeckt. Wie riecht sie?«
Ysabeau zuckte mit den Achseln. »So wie sie schmeckt. Vielleicht
noch etwas exotischer – mit einem Hauch Moschus. Ich war nie besonders angetan davon. Ich ziehe das Töten der Jagd vor. Aber jede, wie es ihr beliebt.«
»Ich leide in letzter Zeit kaum noch unter Panikattacken. Deswegen müssen Sie nicht mit mir reiten gehen.« Ich beugte mich wieder über meine Arbeit.
»Warum sind sie Ihrer Meinung nach seltener geworden?«, fragte Ysabeau.
»Das weiß ich beim besten Willen nicht.« Ich seufzte und sah Matthews Mutter an.
»Leiden Sie schon lange darunter?«
»Seit ich sieben war.«
»Was ist damals passiert?«
»Da wurden meine Eltern in Nigeria getötet«, antwortete ich knapp.
»Das war das Bild, das man Ihnen geschickt hat – das dazu geführt hat, dass Matthew Sie nach Sept-Tours brachte.«
Als ich nickte, zog sich Ysabeaus Mund zu der vertrauten dünnen Linie zusammen. »Schweine.«
Man konnte sie Schlimmeres schimpfen, aber »Schweine« traf es ziemlich gut.
»Panik oder keine Panik«, bestimmte Ysabeau, »wir reiten aus, wie Matthew es gewollt hat.«
Ich fuhr den Computer herunter und ging nach oben, um mich umzuziehen. Dank Marthe lagen meine Reitsachen ordentlich zusammengefaltet im Bad, nur die Stiefel hatte ich zusammen mit dem Helm und der Weste im Stall gelassen. Ich stieg in die schwarze Reithose, zog einen schwarzen Rollkragenpullover über und schlüpfte mit warmen Socken in ein paar Slipper, bevor ich wieder nach unten ging, um nach Matthews Mutter zu suchen.
»Ich bin hier drin«, rief sie. Ich folgte ihrem Ruf in einen kleinen Raum, der in warmem Terrakottabraun gestrichen war. Er war mit altem Porzellan und Geweihen dekoriert und mit einer wuchtigen alten Kommode ausgestattet, in der das Geschirr und Besteck
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