Seelen der Nacht
Füßen – sogar aus meinem Mund. So als gäbe es mich gar nicht mehr oder als hätte ich mich in Wasser aufgelöst. Ich dachte, ich würde nie wieder etwas anderes als Salz schmecken.«
»Warst du allein?«, fragte Matthew scharf.
»Nein, nein, natürlich nicht«, versicherte ich ihm eilig. »Marthe und deine Mutter waren bei mir. Sie kamen nur nicht in meine Nähe. Das Wasser hinderte sie daran, Matthew. Und der Wind.«
»Wie hat es aufgehört?«, fragte er.
»Durch Ysabeau.«
Matthew sah seine Mutter nachdenklich an.
»Sie hat mir vorgesungen.«
Die schweren Vampirlider senkten sich und schirmten seine Augen ab. »Früher sang sie immerzu. Danke, Maman.«
Ich hoffte, er möge mir erzählen, wie sie ihm früher immer vorgesungen hatte und wie sehr Ysabeau sich seit Philippes Tod verändert habe. Aber er sagte nichts dergleichen. Stattdessen schloss er mich fest in die Arme, und ich versuchte ihm nicht zu verübeln, dass er mir diesen Teil seines Lebens nicht öffnete.
Im Lauf der Stunden wirkte Matthews Freude, wieder zu Hause zu sein, immer ansteckender auf mich. Nach dem Mittagessen verschwanden wir in sein Arbeitszimmer. Auf dem Teppich vor dem
Kamin erforschte Matthew, wo ich überall kitzlig war. Doch nicht ein einziges Mal gewährte er mir einen Blick über die Mauern, die er so sorgfältig errichtet hatte, um seine Geheimnisse vor anderen Geschöpfen zu bewahren.
Einmal suchte ich mit unsichtbaren Fingern nach einer Scharte in Matthews Abwehrwall. Er sah mich überrascht an.
»Hast du etwas gesagt?«, fragte er.
»Nein«, beteuerte ich und zog mich hastig zurück.
Abends speisten wir still und heiter mit Ysabeau, die sich von Matthews guter Laune mitreißen ließ. Trotzdem beobachtete sie ihn genau, und ihr Gesicht wirkte seltsam traurig.
Auch wenn ich mir insgeheim Sorgen wegen der Schreibtischschublade machte und mich fragte, ob mein Geruch noch dem Samtkissen unter den Siegeln anhaftete, schlüpfte ich nach dem Essen in meinen unzulänglichen Pyjamaersatz, nahm meinen ganzen Mut zusammen und wünschte Matthew eine gute Nacht, bevor er sich allein in sein Arbeitszimmer zurückzog.
Kurz darauf kam er in einer lockeren gestreiften Pyjamahose, einem verblichenen schwarzen T-Shirt und ohne Schuhe an den langen schlanken Füßen zurück. »Willst du die linke oder die rechte Seite?« fragte er ungerührt, während er mit verschränkten Armen vor dem Bett stand.
Ich war kein Vampir, aber auch ich konnte ziemlich schnell den Kopf drehen, wenn es angesagt war.
»Wenn es dir egal ist, würde ich lieber die linke Seite nehmen«, fuhr er mit Grabesstimme fort. »Ich kann mich leichter entspannen, wenn ich zwischen dir und der Tür liege.«
»Mir … mir ist das egal«, stotterte ich.
»Dann leg dich hin, und rutsch rüber.« Matthew nahm mir die Bettdecke aus der Hand, und ich legte mich gehorsam hin. Mit einem zufriedenen Grunzen schlüpfte er hinter mir unter die Decke.
»Das hier ist das bequemste Bett im ganzen Haus. Mutter meint, dass wir keine bequemen Matratzen brauchen, wo wir sowieso kaum schlafen. Ihre Betten sind die reinsten Folterbänke.«
»Wirst du mit mir schlafen?«, fragte ich mit Piepsstimme, obwohl ich mich so bemüht hatte, genauso locker zu klingen wie er.
Matthew streckte den rechten Arm aus und schloss mich in seine Armbeuge, bis mein Kopf auf seiner Schulter lag. »Ich habe mit dem Gedanken gespielt«, sagte er. »Obwohl ich nicht wirklich schlafe.«
An ihn gekuschelt, legte ich meine Hand auf sein Herz, um jeden einzelnen Herzschlag mitzubekommen. »Was machst du dann die ganze Nacht?«
»Dich beobachten natürlich.« Seine Augen strahlten. »Und wenn ich davon genug habe – falls ich davon irgendwann genug haben kann« – er setzte einen Kuss auf jedes Lid –, »dann lese ich. Stört es dich, wenn ich die Kerzen anlasse?«
»Nein«, erwiderte ich. »Ich habe einen tiefen Schlaf. Mich weckt nichts so schnell.«
»Das nenne ich eine Herausforderung«, meinte er leise. »Wenn ich mich langweile, denke ich mir etwas aus, das dich garantiert aufweckt.«
»Langweilst du dich schnell?«, neckte ich ihn, fasste nach oben und fuhr mit den Fingern durch seine Nackenhaare.
»Das wirst du schon noch feststellen«, erklärte er mit boshaftem Grinsen.
Seine Arme legten sich kühl und schützend um mich, und die Geborgenheit, die ich in seiner Nähe empfand, beruhigte mich schneller als jedes Schlaflied.
»Wird das je aufhören?«, fragte ich leise.
»Das
Weitere Kostenlose Bücher