Seelen der Nacht
trat auf der Stelle.
»Gleichzeitig hast du gesehen, wie ich mich übergeben habe, wie ich deinen Teppich in Brand gesetzt und völlig die Fassung verloren habe, als ich etwas zugeschickt bekam, mit dem ich nicht gerechnet habe. Die Wasserspiele sind dir entgangen, aber auch die waren kein schöner Anblick. Im Gegenzug bitte ich dich darum, mich zusehen zu lassen, wie du dich ernährst. Das ist entscheidend für mich, Matthew. Wenn du das nicht ertragen kannst, dann tun wir der Kongregation einen Gefallen und blasen die ganze Sache ab.«
»Dieu . Wirst du niemals aufhören, mich zu überraschen?« Matthew hob den Kopf und starrte in die Ferne. Plötzlich wurde er von einem jungen Hirsch abgelenkt, der auf der Hügelkuppe stand. Der Hirsch äste friedlich, und da der Wind in unsere Richtung ging, hatte er uns noch nicht gewittert.
Danke , hauchte ich im Stillen. Es war ein Geschenk der Götter, dass der Hirsch so unvermutet aufgetaucht war. Matthews Blick heftete sich auf die Beute, und sein Zorn verflog, während er mit seinem übermenschlich scharfen Gespür die Umgebung in sich aufnahm. Ich beobachtete den Vampir gebannt und achtete auf ein Anzeichen darauf, was er gerade dachte oder empfand, aber ich konnte keines entdecken.
Wag es nicht, dich zu bewegen, warnte ich Rakasa, die ihre Muskeln anspannte, als wollte sie im nächsten Moment ausbrechen. Sie bohrte die Hufe in die Erde und verharrte in Habachtstellung.
Matthew spürte, dass der Wind wechselte, und griff nach Rakasas Zügeln. Langsam lenkte er beide Pferde nach rechts. Der junge Hirsch hob den Kopf und sah kurz nach unten, aber gleich darauf begann er wieder zu äsen. Matthews Blick huschte über das Gelände, kam kurz auf einem Hasen zu liegen und verharrte für einen Moment, als ein Fuchs seinen Kopf aus seinem Bau reckte. Er registrierte auch den Falken, der über uns kreiste und auf dem Wind ritt wie ein Surfer auf den Wellen. Ich begann zu begreifen, wie er die Geschöpfe in der Bibliothek unter Kontrolle gebracht hatte. Auf diesem Feld gab es kein Lebewesen, das er nicht geortet und identifiziert hatte und das er nicht
nach ein paar Minuten Beobachtung hätte töten können. Matthew führte die Pferde Schritt für Schritt auf die Bäume zu, wo mir die Geräusche und Gerüche der anderen Tiere als Tarnung dienten. Wir schreckten ein getüpfeltes, katzenähnliches Tier mit langem gestreiftem Schwanz auf. So wie Matthew den Körper anspannte, war es klar, dass er ihm gern nachgejagt wäre, und wäre er allein gewesen, hätte er es bestimmt erlegt, bevor er sich dem Hirsch genähert hätte. Mühsam wandte er den Blick von dem davonhetzenden Tier ab.
Wir brauchten beinahe eine Stunde, um vom unteren Ende der Wiese aus am Waldrand entlangzuschleichen, bis wir knapp unter der Hügelkuppe waren. Dort saß Matthew ab, indem er das Bein über Dahrs Hals schwang. Er schlug das Pferd auf den Rumpf, woraufhin es gehorsam kehrtmachte und in Richtung Stall trabte.
Während des ganzen Manövers hatte Matthew Rakasas Zügel kein einziges Mal losgelassen, und er behielt sie auch jetzt fest in der Hand. Er führte die Stute an den Waldrand und holte tief Luft, wobei er jede Witterung ortete. Lautlos brachte er uns in ein kleines Dickicht von niedrigen Birken.
Dann duckte sich der Vampir und verharrte mit gebeugten Knien in einer Position, die ein Mensch keine vier Minuten durchgehalten hätte. Matthew blieb fast zwei Stunden so stehen. Mir schliefen die Füße in den Steigbügeln ein.
Matthew hatte nicht übertrieben, als er mir die Unterschiede zwischen seiner Jagdmethode und der seiner Mutter erklärt hatte. Ysabeau ging es vor allem darum, ein biologisches Bedürfnis zu stillen. Sie brauchte Blut, die Tiere hatten welches, und sie nahm es ihnen so effizient wie möglich ab, ohne Gewissensbisse zu empfinden, weil für ihr Überleben andere Wesen sterben mussten. Für ihren Sohn war die Sache eindeutig komplizierter. Auch er brauchte Blut als Nahrung. Aber Matthew fühlte sich mit seiner Beute auf eine Weise verbunden, die mich an den respektvollen Tonfall in seinen Artikeln über die Wölfe denken ließ. Für Matthew ging es beim Jagen vor allem um Strategie, er wollte seine animalische Intelligenz mit einem anderen Wesen messen, das die Welt genauso sah und empfand wie er.
Ich musste an unser morgendliches Spiel im Bett denken und schloss die Augen, weil mich ein Blitz der Begierde durchschoss. Ich begehrte ihn hier im Wald, wo er gleich ein Tier töten
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