Seelen der Nacht
würde, genauso intensiv wie in meinem Bett, und plötzlich verstand ich, wieso Matthew Bedenken hatte, mit mir jagen zu gehen. Jagen und Sexualität waren auf eine Weise verknüpft, die mir bis zu diesem Moment nie wirklich klar gewesen war.
Er atmete leise aus, machte sich ohne ein weiteres Wort auf den Weg und pirschte geduckt am Waldrand entlang. Erst als Matthew über den Hügelkamm lief, hob der Hirsch den Kopf, um festzustellen, was für eine merkwürdige Kreatur da angelaufen kam.
Er brauchte nur wenige Sekunden, um Matthew als Bedrohung zu erkennen, doch das war länger, als ich gebraucht hätte. Mir stellten sich alle Haare auf, und ich fürchtete mich für den Hirsch genauso wie für Ysabeaus Rehbock. Der Hirsch schoss los und floh in hohen Sprüngen hügelabwärts. Aber Matthew war schneller und schnitt dem Tier den Weg ab, bevor es meinem Versteck zu nahe kommen konnte. Er jagte es wieder den Hügel hoch und über dem Kamm. Mit jedem Schritt kam Matthew ihm näher, mit jedem Schritt wurde der Hirsch nervöser.
Ich weiß, dass du Angst hast , sagte ich leise und hoffte, dass der Hirsch mich hörte. Er muss das tun. Er macht das nicht zum Vergnügen oder um dir weh zu tun. Er macht das, um zu überleben.
Rakasa drehte den Kopf und sah mich beunruhigt an. Ich beugte mich vor, um sie zu beschwichtigen, und ließ die Hand auf ihrem Hals liegen.
Bleib stehen, beschwor ich den Hirsch. Hör auf zu fliehen. Nicht einmal du bist schnell genug, um diesem Geschöpf zu entkommen. Der Hirsch wurde langsamer und stolperte über ein Loch im Boden. Er rannte direkt auf mich zu, so als könnte er meine Stimme hören und würde auf sie zuhalten.
Matthew streckte die Hand aus, bekam den Hirsch am Geweih zu fassen und riss seinen Kopf zur Seite. Der Hirsch fiel auf den Rücken und blieb schwer keuchend liegen. Matthew sank auf die Knie, knapp
zehn Meter vor meinem Dickicht, und hielt den Kopf des Tieres fest. Der Hirsch versuchte noch einmal sich freizustrampeln.
Lass los, sagte ich traurig. Es ist Zeit. Dies ist das Geschöpf, das dein Leben beenden wird.
Der Hirsch schlug ein letztes Mal resigniert und ängstlich aus und kam dann zur Ruhe. Matthew sah seiner Beute tief in die Augen, als warte er auf deren Einverständnis, sein Werk zu vollenden, dann schlug er so schnell zu, dass ich nur einen Nebel aus Schwarz und Weiß erkennen konnte, und hatte im nächsten Moment die Zähne in den Hals des Hirsches gesenkt.
Während er trank, sickerte das Leben aus dem Tier, und Matthew wurde von neuer Energie durchströmt. Ein frischer Eisengeruch lag in der Luft, obwohl kein einziger Tropfen Blut zu Boden fiel. Auch nachdem der Hirsch seine Lebenskraft verloren hatte, harrte Matthew reglos kniend und mit gesenktem Kopf neben dem Kadaver aus.
Ich drückte Rakasa die Hacken in die Flanken. Matthews Rücken versteifte sich, als ich auf ihn zukam. Er sah auf, und aus seinen graugrünen Augen strahlte tiefe Befriedigung. Ich zog die Reitgerte aus dem Stiefel und schleuderte sie mit aller Kraft von mir. Sie segelte ins Gehölz, wo sie sich hoffnungslos in einem Stechginsterstrauch verhedderte. Matthew sah mir interessiert zu, aber die Gefahr, dass er mich mit einem Reh verwechseln könnte, war eindeutig gebannt.
Langsam nahm ich den Helm herunter und stieg ab, obwohl ich ihm dabei den Rücken zuwenden musste. Selbst jetzt, wo er sich selbst nicht traute, traute ich ihm. Die Hand leicht auf seine Schulter legend, sank ich in die Knie und legte den Helm neben den starren Augen des Hirsches ab.
»Deine Art zu jagen gefällt mir besser als Ysabeaus. Dem Hirsch auch, glaube ich.«
»Jagt meine Mutter wirklich so anders als ich?« Matthews französischer Akzent hatte sich verstärkt, und seine Stimme klang noch weicher und hypnotischer als sonst. Er roch auch anders.
»Sie jagt, um ein biologisches Bedürfnis zu stillen«, antwortete ich schlicht. »Du jagst, weil du dich dabei wirklich lebendig fühlst.
Und ihr beide habt eine Übereinkunft getroffen.« Ich deutete auf den Hirsch. »Am Ende hat er mit dir Frieden geschlossen, glaube ich.«
Matthew sah mich so eindringlich an, dass sein schneekühler Blick auf meiner Haut vereiste. »Hast du mit dem Hirsch geredet, so wie du mit Balthasar und Rakasa geredet hast?«
»Ich habe mich nicht eingemischt, wenn du das meinst«, beteuerte ich hastig. »Du hast ihn ganz allein erlegt.« Vielleicht waren Vampiren derlei Dinge ja wichtig.
Matthew schauderte. Er sah von dem Hirsch auf und
Weitere Kostenlose Bücher