Seelen der Nacht
dicht auf den Fersen, als wir in die Küche kamen, wo Marthe in der Tür zur Speisekammer stand und mich und Matthew beäugte, als wären wir die Hauptdarsteller einer Nachmittagssoap. Beide spürten auch ohne Erklärung, dass etwas nicht stimmte.
»Ich weiß nicht, wann wir zurückkommen«, verkündete Matthew über seine Schulter hinweg. Seine Finger lockerten sich nicht, und er zog mich so schnell weiter, dass ich mich nur entschuldigend zu Marthe umdrehen und bedauernd das Gesicht verziehen konnte.
»Elle a plus de courage que j’ai pensée«, murmelte Ysabeau Marthe zu.
»Ja, Mutter. Diana ist mutiger, als wir es verdient haben, du und ich. Und wenn du sie noch einmal auf die Probe stellst, wirst du uns beide nicht wiedersehen. Verstanden?«
»Natürlich, Matthew«, sagte Ysabeau. Das sagte sie immer, wenn sie sich nicht festlegen wollte.
Auf dem Weg zum Stall sprach Matthew kein Wort. Immer wieder sah er aus, als wollte er umkehren und mit mir zum Château zurückgehen. An der Stalltür hielt er mich an den Schultern fest und suchte in meiner Miene und meiner Haltung nach Anzeichen von Angst. Trotzig schob ich das Kinn vor.
»Sollen wir?« Ich deutete auf die Koppel.
Er brummte ärgerlich und rief nach Georges. Balthasar wieherte aufgeregt und fing den Apfel auf, den ich in seine Richtung warf. Zum Glück kam ich inzwischen ohne fremde Hilfe in meine Stiefel, auch wenn ich länger brauchte als Matthew, der argwöhnisch beobachtete, wie ich die Weste verschloss und den Kinnriemen des Helmes straffzog.
»Nimm die«, sagte er und reichte mir eine geflochtene Reitgerte.
»Die brauche ich nicht.«
»Du nimmst die Gerte, Diana.«
Ich nahm sie und beschloss, sie bei der ersten Gelegenheit ins Unterholz zu werfen.
»Und wenn du sie wegwirfst, kehren wir sofort um.«
Glaubte er wirklich, ich würde ihn mit der Gerte abwehren? Ich schob sie mit dem Griff nach oben in meinen Stiefel und stapfte hinaus auf die Koppel.
Die Pferde begannen unruhig auf und ab zu laufen, sobald wir in Sichtweite kamen. Genau wie Ysabeau spürten beide, dass etwas nicht stimmte. Rakasa nahm den Apfel, den ich ihr schuldete, und ich strich mit den Fingern über ihr Fell, wobei ich leise auf sie einredete, um sie zu beruhigen. Matthew machte sich keine Umstände mit Dahr. Blitzschnell und ganz sachlich kontrollierte er Sattel und Zaumzeug. Als ich
fertig war, hob mich Matthew auf Rakasas Rücken. Seine Hände lagen fest um meine Taille, aber er hielt mich keinen Augenblick länger fest als unbedingt nötig. Er wollte vermeiden, dass ihm mein Geruch anhaftete.
Im Wald überzeugte sich Matthew, dass die Gerte immer noch in meinem Stiefel steckte.
»Dein Steigbügel muss verkürzt werden«, bemerkte er, als wir die Pferde traben ließen. Er wollte, dass das Zaumzeug straff genug saß, falls ich vor ihm fliehen musste. Ich warf ihm einen finsteren Blick zu, ließ Rakasa anhalten und straffte die Bügelriemen.
Das inzwischen vertraute Feld kam in Sicht, und Matthew schnupperte aufmerksam. Er packte Rakasas Zügel und brachte sie zum Stehen. Er kochte immer noch vor Wut.
»Da drüben ist ein Hase.« Matthew nickte zum westlichen Rand des Feldes hin.
»Hasen hatte ich schon«, sagte ich ruhig. »Murmeltiere, Ziegen und ein Reh auch.«
Matthew fluchte. Es war ein kurzer aber umfassender Fluch, und ich hoffte, dass uns Ysabeaus scharfe Ohren nicht hören konnten.
»›Zur Strecke gebracht‹, trifft die Situation ziemlich gut, oder?«
»Ich jage anders als meine Mutter, die ihre Beute erst zu Tode erschreckt und sich dann darauf stürzt. Ich kann für dich einen Hasen töten oder vielleicht auch eine Ziege. Aber ich werde mich nicht an einen Hirsch anpirschen, solange du in meiner Nähe bist.« Matthew hatte das Kinn eigensinnig vorgereckt.
»Hör auf, mir etwas vorspielen zu wollen, und vertrau mir endlich.« Ich deutete auf meine Satteltasche. »Ich kann warten.«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht wenn du in der Nähe bist.«
»Seit ich dich kennengelernt habe«, erklärte ich ihm ruhig, »hast du mir alle Vorzüge eines Lebens als Vampir gezeigt. Du schmeckst Dinge, die ich mir nicht einmal vorstellen kann. Du erinnerst dich an Ereignisse und Menschen, die ich nur aus Büchern kenne. Du riechst es, wenn ich meine Meinung ändere oder dich küssen will. Du hast mir eine Welt von Sinneseindrücken gezeigt, von der ich bis dahin nichts geahnt hatte.«
Ich verstummte kurz, weil ich hoffte, dass ich Fortschritte machte. Doch ich
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