Seelen der Nacht
seine Geschichte selbst erzählen müssen – ich bin kein solcher Bilderstürmer wie meine Mutter, selbst wenn ich mich in eine Hexe verliebt habe. Ich habe ihn vor über zweihundert Jahren gemacht. Und ich bin stolz auf ihn und darauf, wie er sein Leben meistert.«
»Aber du wolltest trotzdem nicht zulassen, dass er mir Blut abnimmt«, stellte ich stirnrunzelnd fest. »Er ist dein Sohn. Warum vertraust du ihm nicht?« Eltern sollten ihren Kindern trauen.
»Er wurde mit meinem Blut zum Vampir gemacht, meine Geliebte.« Matthew sah mich gleichzeitig geduldig und besitzergreifend an. »Warum sollte er dich nicht genauso unwiderstehlich finden wie ich? Vergiss nicht, keiner von uns ist immun gegen den Lockruf des Blutes. Ich traue ihm eher als jedem anderen, aber ich werde mich nie völlig entspannen können, wenn dir ein Vampir zu nahe kommt.«
»Nicht einmal Marthe?« Ich war entsetzt. Ich vertraute Marthe vollkommen.
»Nicht einmal Marthe«, bestätigte er entschieden. »Allerdings bist
du ganz und gar nicht ihr Typ. Sie bevorzugt Blut von wesentlich kräftigeren Geschöpfen.«
»Wegen Marthe oder Ysabeau brauchst du dir keine Sorgen zu machen.« Ich sagte das genauso entschieden wie er.
»Nimm dich vor meiner Mutter in Acht«, widersprach mir Matthew. »Mein Vater hatte mich ermahnt, ihr nie den Rücken zuzudrehen, und er hatte recht. Sie fand Hexen immer faszinierend und war immer neidisch auf sie. Unter den richtigen Umständen und in der richtigen Stimmung…?« Er schüttelte den Kopf.
»Und nicht zu vergessen, was Philippe passiert ist.«
Matthew erstarrte.
»Mein zweites Gesicht meldet sich immer öfter, Matthew. Ich habe gesehen, wie Ysabeau dir von den Hexen erzählte, die deinen Vater gefangengenommen hatten. Sie hat keinen Grund, mir zu vertrauen, trotzdem hat sie mich in ihrem Haus aufgenommen. Die eigentliche Bedrohung ist die Kongregation. Und auch von der würde uns keine Gefahr drohen, wenn du mich zum Vampir machen würdest.«
Sein Gesicht verdüsterte sich. »Meine Mutter und ich werden uns ausgiebig darüber unterhalten müssen, welche Gesprächsthemen angemessen sind und welche nicht.«
»Du kannst die Welt der Vampire – deine Welt – nicht vor mir verschließen. Ich bin mittendrin. Ich muss wissen, wie sie funktioniert und welche Regeln gelten.« In mir flammte Zorn auf, der durch meine Arme zu meinen Fingernägeln schoss und dort in blauen Flammenbogen ausbrach.
Matthews Augen wurden groß.
»Du bist nicht die einzige furchterregende Kreatur hier, verstehst du?« Ich schwenkte meine feuerspeienden Hände zwischen uns, bis der Vampir den Kopf schüttelte. »Hör auf, meinen Beschützer spielen zu wollen, und lass mich an deinem Leben teilhaben. Ich will keinen Sir Lancelot. Sei einfach du selbst – Matthew Clairmont. Mit deinen scharfen Vampirzähnen und deiner furchteinflößenden Mutter, mit deinen Reagenzgläschen voller Blut und deiner DNA, deiner anmaßenden Arroganz und deinem nervigen scharfen Geruchssinn.«
Kaum hatte ich das ausgesprochen, erloschen die blauen Funken, die von meinen Fingerspitzen sprühten. Sie zogen sich zu meinen Ellbogen zurück und warteten dort, falls ich sie noch einmal brauchen sollte.
»Wenn ich dir jetzt näher komme«, meinte Matthew gelassen, so als würde er mich nach der Zeit oder dem Wetter fragen, »sprühst du dann gleich wieder Funken, oder war es das vorerst?«
»Ich glaube, vorerst bin ich fertig.«
»Du glaubst?« Wieder zog er eine Braue hoch.
»Ich habe mich absolut unter Kontrolle«, verkündete ich und dachte dabei reumütig an die Brandlöcher in seinem Teppich in Oxford.
Blitzschnell hatte Matthew mich in die Arme geschlossen.
»Uff!«, beschwerte ich mich, als er seine Ellbogen in meine Rippen presste.
»Und du bescherst mir mit deinem Mut, deinen Feuerwerksfingern und deinen unmöglichen Kommentaren noch graue Haare – was man bei Vampiren übrigens lange nicht für möglich gehalten hätte.« Matthew gab mir einen innigen Kuss, und danach fehlten mir die Worte, die unmöglichen genauso wie alle anderen auch. Mein Ohr lag auf seiner Brust, wo ich geduldig auf einen Herzschlag lauschte. Als ich einen hörte, drückte ich ihn glücklich und freute mich, nicht die Einzige zu sein, der das Herz überging.
»Du hast gewonnen, ma vaillante fille«, sagte er und drückte mich mit aller Kraft. »Ich werde versuchen – versuchen –, dich nicht mehr so zu behüten. Und du darfst nie unterschätzen, wie
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