Seelen der Nacht
und sah überrascht auf die Uhr.
Im Hof sog ich tief die frische Luft ein. Frische Luft allein würde allerdings nicht genügen, um diesen Tag noch zum Besseren zu wenden.
Fünfzehn Minuten später steckte ich in einer eng anliegenden,
wadenlangen Hose, die sich in sechs Richtungen dehnen ließ, außerdem einem verblichenen Trägerhemd des New College Boat Clubs und einem Fleecepullover. Ich schnürte meine Turnschuhe und brach im Laufschritt auf zum Fluss.
Als ich dort ankam, hatte sich die Anspannung schon fast gelöst. Als »Adrenalinvergiftung« hatte einer meiner Ärzte diese Angstanfälle bezeichnet, die mich seit meiner Kindheit plagten. Die Ärzte erklärten sie damit, dass mein Körper aus unerfindlichen Gründen anzunehmen schien, er würde ständig in Gefahr schweben. Einer der Spezialisten, die meine Tante konsultiert hatte, hatte ihr ernsthaft erklärt, dass es sich dabei um ein biochemisches Überbleibsel aus uralten Jäger-und Sammlerzeiten handelte. Es würde mir besser gehen, sobald ich mein Blut vom Adrenalin befreite, und zwar indem ich rannte, so wie ein Steinbock vor einem Löwen davonrennt.
Dummerweise war ich als Kind mit meinen Eltern in der Serengeti gewesen und hatte eine solche Verfolgungsjagd beobachtet. Der Steinbock hatte verloren. Das Erlebnis hatte mich tief beeindruckt.
Seither hatte ich Medikation und Meditation probiert, doch am besten ließ sich die Panik tatsächlich mit körperlicher Aktivität in Schach halten. In Oxford ging ich lieber am Morgen rudern, bevor die Collegeteams den schmalen Fluss in eine Hauptverkehrsstraße verwandelten. Aber da das Semester noch nicht wieder angefangen hatte, würde der Fluss heute auch am Nachmittag frei sein.
Meine Füße stampften über den mit Splitt bestreuten Pfad zu den Bootshäusern. Ich winkte Pete zu, dem Bootsmann, der mit ein paar Schraubenschlüsseln und Dosen voller Schmierfett vorbeitigerte und das zu reparieren versuchte, was die Anfänger bei ihrem Training aufgearbeitet hatten. Am siebten Bootshaus blieb ich stehen und beugte mich vornüber, bis das Seitenstechen nachgelassen hatte, dann zog ich den Schlüssel vom Dach der Laterne vor der Bootshaustür.
Drinnen begrüßten mich Halterungen voller weiß-gelber Boote. Es gab große Achter für die erste Mannschaft, etwas schmalere Boote für die Frauen und dazu andere Boote verschiedener Größe und Qualität. Am Bug eines funkelnagelneuen, noch nicht fertig ausgerüsteten
Bootes hing ein mahnendes Schild: NIEMAND DARF OHNE ER-LAUBNIS DES NCBC-PRÄSIDENTEN DIE FRAU DES FRANZÖSISCHEN LEUTNANTS AUS DIESEM HAUS ENTFERNEN. Der Bootsname war in viktorianischen Schnörkeln auf dem Lack angebracht worden, eine Hommage an den Absolventen des New College, der diese Figur erschaffen hatte.
Ganz hinten ruhte ein gertenschlankes Boot mit knapp dreißig Zentimetern Breite und einer Länge von über acht Metern in einem hüfthoch montierten Schlingensatz. Gott segne Pete , dachte ich. Er hatte es sich angewöhnt, das Skiff weit unten aufzuhängen. Ein Zettel auf dem Sitz verkündete: Collegetraining nächsten Montag. Boot kommt zurück aufs Gestell.
Ich schlüpfte aus den Turnschuhen, suchte mir aus dem Stapel neben der Tür zwei Riemen mit geschwungenen Ruderblättern heraus und trug sie zum Anlegesteg. Dann ging ich das Boot holen.
Ich ließ das Skiff vorsichtig ins Wasser gleiten und stellte einen Fuß auf den Sitz, damit es nicht abtrieb, während ich die Riemen in die Dollen fädelte. Beide Riemen in einer Hand haltend wie überdimensionale Essstäbchen, ließ ich mich vorsichtig ins Boot sinken und stieß mich dann mit der Linken vom Steg ab. Das Skiff trieb hinaus auf den Fluss.
Rudern war für mich inzwischen eine Art Religion, ein festgefügter Rahmen von Ritualen und Bewegungen. Die Rituale begannen in dem Moment, in dem ich die Ausrüstung in die Hand bekam, aber der wahre Zauber ergab sich aus der Kombination von Präzision, Rhythmus und Kraft, die man zum Rudern braucht. Seit meinen Tagen als junge Studentin hatte mir das Rudern ein unvergleichliches Gefühl von innerem Frieden verschafft.
Die Ruderblätter tunkten ins Wasser und flogen über die Oberfläche. Ich zog das Tempo an, verstärkte gleichzeitig jeden Schlag durch meine Beinarbeit und spürte das Wasser, wenn mein Riemen zurückflog und wieder unter die Wellen tauchte. Der Wind schnitt bei jedem Ruderschlag kalt und scharf durch meine Kleidung.
Meine Bewegungen verschmolzen zu einer nahtlosen Abfolge,
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