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Seelen der Nacht

Seelen der Nacht

Titel: Seelen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Harkness
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Bäumen.
    Mit zwei geschlossenen Augen und dem weit geöffneten geistigen Auge ging ich los in der Hoffnung, dass er mir folgen würde. Hinter mir löste sich seine dunkle Gestalt von einem Ahornbaum wie ein schwarzer Riss, der sich rotglühend umrandet vom ihn umgebenden Grün abhob. Diesmal blickte ich konzentriert in die andere Richtung.
    »Ich sehe dich, Matthew«, sagte ich leise.
    »Wirklich, ma lionne? Und was willst du jetzt unternehmen?« Er lachte wieder und folgte mir im gleichen Abstand wie zuvor.
    Mit jedem Schritt hellte sich das Bild vor meinem dritten Auge weiter auf, wurden die Umrisse schärfer. Links von mir befand sich ein verfilztes Gebüsch, darum hielt ich mich rechts. Als Nächstes bemerkte ich einen Stein direkt vor mir, dessen scharfe graue Kanten aus dem Boden aufragten. Ich hob den Fuß, um nicht zu stolpern.
    Ein leichter Luftzug auf meiner Brust verriet mir, dass ich an einer kleinen Lichtung angekommen war. Inzwischen sprach nicht mehr nur das Leben des Waldes zu mir. Rund um mich herum sandten die Elemente Botschaften aus, die mir den Weg wiesen. Erde, Luft, Feuer und Wasser verbanden sich mit meiner Wahrnehmung in winzigen Nadelstichen.
    Matthews Energie verdichtete sich und wurde dunkler und tiefer. Dann schoss seine dunkle Sphäre  – sein fehlendes Leben  – in einem eleganten Sprung, um den ihn jeder Panther beneidet hätte, durch die Luft. Er streckte die Arme aus, um mich zu packen.
    Flieg , dachte ich, gerade als seine Finger meine Haut berühren wollten.
    Der Wind schob einen mächtigen Luftstoß unter meinen Körper. Die Erde gab mich mit einem sanften Aufwärtsschub frei. Genau wie Matthew vorhergesagt hatte, war es kein Problem, meinen Körper dorthin folgen zu lassen, wohin ihn meine Gedanken führten. Tief unter mir schlug Matthew einen Salto in der Luft und setzte leichtfüßig genau dort auf, wo ich eben noch gestanden hatte.

    Mit weit aufgerissenen Augen stieg ich über die Baumwipfel auf. Sie waren wie von Meeresrauschen erfüllt, der Himmel war weit und strahlend hell vom Sonnen- und Sternenlicht. Mein Haar schwamm auf den Luftströmungen, und die Enden jeder einzelnen Strähne verwandelten sich in Flammenzungen, die über mein Gesicht leckten, ohne dabei zu brennen. In langen Tentakeln liebkosten sie meine Wangen mit Wärme, während die kalte Luft daran vorüberzog. Ein Rabe flatterte an mir vorbei, bass erstaunt über dieses neue Geschöpf, das jetzt den Luftraum mit ihm teilte.
    Matthews blasses Gesicht war mir zugewandt, und ich sah blankes Erstaunen in seinen Augen. Als sich unsere Blicke trafen, lächelte er.
    Noch nie hatte ich etwas so Schönes gesehen. Ich spürte eine Woge kräftiger, tiefer Lust und war gleichzeitig unsagbar stolz darauf, dass er mir gehörte.
    Mein Körper tauchte zu ihm ab, und Matthews staunende Miene wurde schlagartig misstrauisch. Er knurrte unsicher, als würde ihn sein Instinkt warnen, dass ich ihn attackieren könnte.
    Ich bremste meinen Sturzflug ab und glitt langsam tiefer, bis wir auf Augenhöhe waren, während meine Füße in Sarahs Gummistiefeln hinter mir schwebten. Der Wind peitschte eine flammende Locke in seine Richtung.
    Tu ihm nichts. Alle meine Gedanken kreisten um seine Sicherheit. Luft und Feuer gehorchten mir, und mein drittes Auge trank seine dunkle Gestalt.
    »Bleib von mir weg«, grollte er. »Nur einen Augenblick.« Matthew musste sich bemühen, seinen Raubtierinstinkt in Schach zu halten. Jetzt wollte er mich jagen. Der König der Wildnis ließ sich nicht gern auf die Probe stellen.
    Ich beachtete seine Warnung gar nicht, sondern senkte meine Füße ab, bis sie wenige Zentimeter über dem Boden schwebten, und reichte ihm dann die offene Hand. Mit meinem geistigen Auge konnte ich meine eigene Energie wahrnehmen: eine wogende Masse von Silber und Gold, Grün und Blau, leise flackernd wie der Morgenstern. Ich
schöpfte etwas davon ab und beobachtete, wie es von meinem Herzen aus durch meine Schulter in meinen Arm rollte.
    Im nächsten Moment lag in meiner Handfläche ein pulsierender, kreiselnder Ball, in dem sich Himmel und Erde, Meer und Feuer vereinten. Die alten Philosophen hätten ihn als Mikrokosmos bezeichnet  – eine kleine Welt, in der sich Fragmente des gesamten Universums und meiner selbst verbanden.
    »Für dich«, sagte ich mit hohler Stimme. Meine Finger öffneten sich.
    Matthew fing den Ball in der Luft auf. Er rollte wie Quecksilber über seine Haut und schmiegte sich an sein kaltes

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