Seelen der Nacht
Kessel über den Kohlen zu halten.
»Der Augentrost ist entscheidend«, erläuterte Sarah eben im Tonfall einer Grundschullehrerin. »Der klart die Sicht auf.«
»Riecht ja schrecklich«, Miriam näherte sich den beiden naserümpfend.
Matthews Gesicht verdüsterte sich.
»Matthew«, begrüßte Marcus ihn gleichmütig.
»Marcus«, erwiderte sein Vater.
Sarah richtete sich auf und begutachtete die neuesten Mitglieder des Haushaltes, die beide von innen zu leuchten schienen. Das gedämpfte Licht in der Rezeptur hob ihre unnatürliche Blässe und die überraschende Wirkung der unnatürlich geweiteten Pupillen noch hervor. »Die Göttin steh uns bei, aber wie kann euch irgendwer für Menschen halten?«
»Das war mir auch immer ein Rätsel«, sagte Miriam und studierte Sarah ebenso eingehend. »Andererseits sind diese roten Haare und der Bilsenkrautgeruch, den Sie ausströmen, auch nicht gerade unauffällig. Ich bin Miriam Shephard.«
Matthew und ich tauschten einen tiefen Blick und fragten uns wortlos, wie es Mariam und Sarah unter einem Dach aushalten sollten.
»Willkommen im Haus der Bishops, Miriam.« Sarahs Augen wurden
schmal, und Miriam reagierte genauso. Dann sah meine Tante Marcus an. »Du bist also sein Kind.« Wie üblich war sie zu ungeduldig, um sich um irgendwelche Umgangsformen zu scheren.
»Ich bin Matthews Sohn, genau.« Marcus sah aus, als hätte er ein Gespenst gesehen, und streckte ihr langsam eine braune Flasche entgegen. »Ihre Namensvetterin war ebenfalls eine Heilerin. Nach der Schlacht von Bunker Hill brachte Sarah Bishop mir bei, wie man ein gebrochenes Bein schient. Ich mache es immer noch so, wie sie es mir gezeigt hat.«
Zwei in Lumpen gehüllte Füße baumelten über den Rand des Rezepturregals. Hoffen wir, dass er inzwischen stärker ist als damals , sagte eine Frau, die Sarah wie aus dem Gesicht geschnitten aussah.
»Whisky«, stellte Sarah fest und sah anerkennend von der Flasche auf meinen Sohn.
»Sie trank gern Branntwein. Ich dachte, du könntest ihr da ähnlich sein.«
Beide Sarah Bishops nickten.
»Richtig gedacht«, sagte meine Tante.
»Wie geht es mit dem Trank voran?«, fragte ich und bemühte mich, in der stickigen Luft nicht zu niesen.
»Der muss noch neun Stunden ziehen«, sagte Sarah. »Danach kochen wir ihn noch einmal auf, ziehen das Manuskript durch den Dampf und sehen dann, ob es was zu sehen gibt.« Sie beäugte den Whisky.
»Dann machen wir doch erst mal Pause. Ich könnte dir den öffnen.« Matthew deutete auf die Flasche.
»Ehe ich mich schlagen lasse.« Sie nahm Marcus die Flasche aus der Hand. »Vielen Dank.«
Sarah drehte den Brenner aus und setzte einen Deckel auf den Topf, dann wanderten wir alle zurück in die Küche. Matthew schenkte sich etwas Wein ein, bot Miriam und Marcus ebenfalls ein Glas an, das beide ablehnten, und brachte Sarah einen Whisky. Ich machte mir Tee – schlichten Lipton’s aus dem Supermarkt –, während Matthew die Vampire nach ihrer Reise und den Fortschritten im Labor befragte.
Matthew klang eisig, und er schien nicht besonders erfreut über die
Ankunft seines Sohnes. Marcus wusste, dass er nicht willkommen war, und trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. In der Hoffnung, die gespannte Stimmung aufzulockern, schlug ich vor, ins Familienzimmer zu gehen und uns dort hinzusetzen.
»Lasst uns lieber ins Esszimmer gehen.« Sarah prostete ihrem charmanten Großneffen zu. »Wir zeigen ihnen den Brief. Geh Dianas Bild holen, Matthew. Das sollten sie auch sehen.«
»Marcus und Miriam bleiben nicht lange«, sagte Matthew mit leisem Tadel. »Sie haben Diana etwas mitzuteilen, danach kehren sie nach England zurück.«
»Aber sie gehören zur Familie«, merkte Sarah an, als würde sie als Einzige die Anspannung im Raum nicht spüren.
Meine Tante ging das Bild selbst holen, während Matthew weiterhin finster seinen Sohn ansah. Dann führte Sarah uns ins Esszimmer. Matthew, Em und ich versammelten uns auf der einen Seite des Tisches. Miriam, Marcus und Sarah setzten sich auf die andere. Nachdem alle Platz genommen hatten, begann Sarah darüber zu plaudern, was am Morgen alles passiert war. Immer wenn sie Matthew bat, einen Punkt klarzustellen, spie er die Antwort so knapp wie möglich hervor. Alle im Raum außer Sarah schienen zu begreifen, dass er Miriam und Marcus nicht einweihen wollte. Meine Tante ließ sich davon nicht beirren und schloss ihre Schilderung, indem sie den Brief rezitierte, den meine Mutter mir
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