Seelen der Nacht
eine Tür zu. »Schluss damit! Und es ist mir ernst!«
»Womit denn?« Miriam blieb wie angewurzelt stehen, und die glatten schwarzen Locken ringelten sich wie Schlangen auf ihrer Schulter.
»Nichts. Macht euch keine Sorgen.« Jetzt, wo beide Vampire sicher im Haus standen, seufzten die alten Wände auf.
»Nichts?« Miriam hatte das Seufzen ebenfalls gehört und zog die Brauen hoch.
»Das Haus ist immer ein bisschen nervös, wenn Besuch kommt, das ist alles.«
Miriam sah die Treppe hinauf und schnupperte. »Wie viele Bewohner hat das Haus?«
Das war eine simple Frage, auf die es keine simple Antwort gab.
»Schwer zu sagen«, antwortete ich knapp und wuchtete eine Reisetasche zur Treppe hin. »Was habt ihr denn da drin?«
»Das ist Miriams Tasche. Lass mich.« Marcus hob sie problemlos mit dem Zeigefinger an.
Wir gingen nach oben, wo ich den beiden ihre Zimmer zeigte. Em hatte Matthew geradeheraus gefragt, ob die beiden in einem Bett schlafen würden. Erst hatte er sie entsetzt angesehen, so ungehörig erschien ihm diese Frage, dann hatte er laut losgelacht und ihr versichert, dass die beiden unbedingt getrennt schlafen müssten, sonst hätten wir am nächsten Morgen einen toten Vampir im Haus. Den ganzen Tag über hatte er immer wieder in sich hineingelacht und gemurmelt: »Marcus und Miriam. Was für eine Vorstellung.«
Marcus sollte im Gästezimmer übernachten, in dem früher Em gewohnt hatte, und Miriam hatten wir in meinem alten Zimmer unter dem Dach einquartiert. Auf beiden Betten lagen flauschige Handtücher bereit, und ich zeigte jedem, wo sich das nächste Bad befand. Eigentlich war es wirklich einfach, einen Vampir zu beherbergen – man musste ihnen nichts zu essen anbieten, sie wollten sich nicht hinlegen, sie brauchten praktisch nichts, was ihnen das Leben angenehmer
machte. Zum Glück hatte es keine Erscheinungen gegeben, und es waren auch keine Verputzstücke auf uns herabgeregnet, sodass eigentlich nichts darauf hindeutete, dass das Haus sie nicht aufnehmen wollte.
Auch wenn Matthew mit Sicherheit mitbekommen hatte, dass sein Sohn und Miriam eingetroffen waren, lag die Rezeptur so abgelegen, dass Sarah wahrscheinlich immer noch ahnungslos war. Als ich die beiden Vampire an der Wohnstube vorbeiführte, schielte Elizabeth mit Eulenaugen hinter der Tür hervor.
»Geh Großmutter suchen.« Ich drehte mich zu Marcus und Miriam um. »Entschuldigt, aber wir haben Geister.«
Marcus überspielte sein Lachen mit einem Husten. »Leben alle eure Vorfahren bei euch?«
Ich dachte kurz an meine Eltern und schüttelte schweigend den Kopf.
»Wirklich schade«, murmelte er.
Em erwartete uns mit einem breiten, freundlichen Lächeln im Familienzimmer. »Du bist bestimmt Marcus«, sagte sie, stand auf und streckte ihm die Hand hin. »Ich bin Emily Mather.«
»Em, das ist Matthews Kollegin Miriam Shephard.«
Miriam trat vor. Beide Frauen waren feingliedrig, doch neben Em nahm sich Miriam aus wie ein Porzellanpüppchen.
»Willkommen, Miriam.« Em sah lächelnd auf sie hinab. »Möchte einer von Ihnen etwas zu trinken? Matthew hat eine Flasche Wein geöffnet.« Sie benahm sich völlig ungezwungen, so als würde sie jeden Tag Vampirbesuch bekommen. Miriam wie Marcus schüttelten den Kopf.
»Wo ist Matthew?«, fragte Miriam und stellte damit ihre Prioritäten klar. Ihre geschärften Sinne registrierten die neue Umgebung in allen Einzelheiten. »Ich kann ihn hören.«
Wir führten die beiden Vampire zu der alten Holztür, die in Sarahs privates Heiligtum führte. Marcus und Miriam nahmen dabei weiterhin alle Aromen im Haus der Bishops auf – die Gerüche von Essen, Hexen, Kaffee und Katze. Und schon kam Tabitha kreischend aus dem
dunklen Winkel neben dem Kamin gesprungen und stürzte sich auf Miriam, als wären die beiden Todfeinde.
Miriam zischte, und Tabitha erstarrte in der Bewegung. Die beiden maßen einander wie zwei Raubtiere in freier Wildbahn. Tabitha wandte als Erste den Kopf ab und begann nach mehreren endlosen Sekunden, sich ausgiebig zu putzen.
»Das ist Tabitha«, erklärte ich kleinlaut. »Sie hat Matthew ausgesprochen gern.«
In der Rezeptur beugten sich Matthew und Sarah gerade mit entrückten Mienen über einen Topf, der auf einer uralten elektrischen Kochplatte stand. Getrocknete Kräuter hingen in Bündeln von den Deckenbalken, und die uralten Öfen aus der Kolonialzeit standen einsatzbereit Spalier, als würden sie mit ihren Eisenhaken und Kränen nur darauf warten, schwere
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