Seelen der Nacht
Widerspruch einlegen konnte. Es war ein Akt des Trotzes.«
Matthew sah mich eingehend an. Trotz , schien er sagen zu wollen, ist eindeutig ein Charakterzug dieser Familie .
»Niemand heute kennt die Namen, die Bridget Bishop annahm – sie war dreimal verheiratet«, fuhr Sarah fort. »Alle kennen nur noch den Namen, den sie trug, als sie der Hexerei für schuldig befunden und hingerichtet wurde. Seither haben die Frauen in unserer Familie
grundsätzlich den Namen Bishop angenommen, ganz egal, wen sie heirateten oder wer ihr Vater war.«
»Ich hatte kurz nach Bridgets Tod über ihre Hinrichtung gelesen«, erklärte Matthew leise. »Das war ein düsteres Zeitalter für alle nichtmenschlichen Geschöpfe. Obwohl die neu entstandenen Naturwissenschaften die Welt von allen Mysterien zu entzaubern schienen, waren die Menschen immer noch überzeugt, dass um sie herum unsichtbare Kräfte walteten. Womit sie natürlich ganz recht hatten.«
»Ganz genau. Die Diskrepanz zwischen dem, was die Wissenschaft versprach, und dem, was die Menschen aus Erfahrung wussten, brachte Hunderten von Hexen den Tod.« Sarah begann in den Seiten des Zauberbuches zu blättern.
»Wonach suchst du?« Ich runzelte die Stirn. »Hat eine unserer Vorfahrinnen etwa Manuskripte konserviert? Falls nicht, wirst du in diesem Sprüchebuch kaum etwas finden.«
»Du hast ja keine Ahnung, was in diesem Sprüchebuch alles steht, Miss«, belehrte Sarah mich fröhlich. »Du hast nie einen Funken Interesse dafür gezeigt.«
Meine Lippen verschmolzen zu einem dünnen Strich. »Niemand wird dieses Manuskript beschädigen.«
»Aha, da haben wir es schon.« Sarah deutete triumphierend auf das Zauberbuch. »Einer von Margaret Bishops Zaubersprüchen aus den achtziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts. Sie war eine wirklich mächtige Hexe. Meine Methode, Verborgenes in Papier oder Stoffen sichtbar zu machen. Damit werden wir anfangen.« Sie stand auf, einen Finger auf die Stelle haltend.
»Wenn du auch nur einen Fleck …«, setzte ich an.
»Ich habe dich schon die ersten beiden Male gehört, Diana. Mit diesem Zauberspruch werden Dunstschwaden erzeugt. Nichts als Luft wird dein kostbares Manuskript berühren. Hör auf, so einen Aufstand zu machen.«
»Ich gehe es holen«, erbot Matthew sich hastig. Ich warf ihm einen Killerblick zu.
Nachdem er aus dem Esszimmer zurückgekommen war, das Bild
behutsam auf beiden Händen tragend, verschwanden er und Sarah gemeinsam in der Rezeptur. Meine Tante redete wie ein Wasserfall, während Matthew gespannt lauschte.
»Wer hätte das gedacht?«, meinte Em kopfschüttelnd.
Em und ich erledigten den Abwasch und waren gerade dabei, das Familienzimmer aufzuräumen, wo es aussah wie nach einem Einbruch, als zwei Scheinwerfer über die Zufahrt schwenkten.
»Da kommen sie.« Mein Magen krampfte sich zusammen.
»Das wird schon werden, Schätzchen. Sie sind Matthews Verwandte.« Em drückte mir aufmunternd den Arm.
Bis ich an der Haustür war, hatten Marcus und Miriam die Wagentüren bereits hinter sich zugeschlagen. Miriam wirkte in ihrem dünnen braunen Pullover mit den hochgekrempelten Ärmeln, ihrem Minirock und den knöchelhohen Stiefeln steif und fehl am Platz, und jetzt tastete sie auch noch mit gespielter Fassungslosigkeit das Haus und die Umgebung ab. Marcus, in einem kurzärmligen T-Shirt von einer Konzerttour 1982 und in Jeans, begutachtete wohlwollend die Bauweise des Hauses und atmete tief die Landluft ein – die zweifellos hauptsächlich nach Hexen und Kaffee roch.
Als die Tür aufging, sahen mich Marcus’ blaue Augen funkelnd an. »Hi, Mom, wir sind zu Hause!«
»Hat er es dir erzählt?« Ich war wütend auf Matthew, weil er sich offenbar meinem Wunsch widersetzt hatte.
»Was erzählt?« Marcus zog verwirrt die Stirn in Falten.
»Nichts, nichts«, murmelte ich. »Hallo, Marcus. Hallo, Miriam.«
»Diana.« Miriams fein geschnittenes Gesicht wirkte wie üblich verdrossen.
»Nettes Haus.« Marcus kam die Verandastufen herauf. Er hielt eine braune Flasche in den Fingern. Unter der Verandalampe begannen seine goldenen Haare und die elfenbeinweiße Haut zu schimmern.
»Willkommen. Kommt doch herein.« Ich zog ihn eilig ins Haus und hoffte, dass niemand im Vorbeifahren den Vampir auf dem Treppenabsatz bemerkt hatte.
»Wie geht es dir, Diana?« Besorgt sah er mich an, und seine Nasenflügel
bebten, als er meinen Duft aufnahm. Matthew hatte ihm von La Pierre erzählt.
»Es geht mir gut.« Oben schlug
Weitere Kostenlose Bücher