Seelen der Nacht
nebenan, wo es ein Café im zweiten Stock gab. Ich musste lächeln, als ich mir vorstellte, wie sich Miriam währenddessen die Zeit vertreiben würde, eingezwängt zwischen zahllosen Touristen, die sich bei Blackwell’s zwischen den Oxford-Führern und den Krimis um die Postkartenständer scharten.
Ich sicherte mir ein Sandwich und eine Tasse Tee, verdrückte mich in die hinterste Ecke des überlaufenen Cafés und setzte mich dort zwischen einen mir flüchtig bekannten Kollegen aus der historischen Fakultät, der hier Zeitung las, und einen jungen Studenten, der seine Aufmerksamkeit gleichmäßig auf einen MP3-Player, ein Handy und einen Computer verteilte.
Nachdem ich mein Sandwich aufgegessen hatte, legte ich beide Hände um die Teetasse und schaute aus dem Fenster. Ich runzelte die Stirn. Einer der mir unbekannten Dämonen aus dem Lesesaal lehnte am Tor zur Bibliothek und schaute zu meinem Fenster hoch.
Im selben Moment spürte ich zwei weiche Druckstellen auf meinen Wangen, sanft und flüchtig wie ein Kuss. Ich blickte auf und in das Gesicht eines weiteren Dämons. Sie war schön und mit faszinierenden, widersprüchlichen Zügen ausgestattet – der Mund war zu breit für ihr zerbrechliches Gesicht, die großen schokoladebraunen Augen saßen zu dicht beisammen, und ihr Haar war für die honiggoldene Haut viel zu blond.
»Dr. Bishop?« Ich hörte den australischen Akzent, und eisige Finger krallten sich um meine Lendenwirbel.
»Ja?« Ich sah zur Treppe, doch Miriams dunkler Kopf war nirgendwo zu sehen. »Ich bin Diana Bishop.«
Sie lächelte. »Ich heiße Agatha Wilson. Ihre Freundin unten weiß nicht, dass ich hier bin.«
Der altmodische Name passte nicht zu jemandem, der höchstens zehn Jahre älter war als ich und wesentlich modischer gekleidet. Andererseits kam mir ihr Name vertraut vor, ich entsann mich verschwommen, ihn in einem Modemagazin gelesen zu haben.
»Darf ich mich setzen?« Sie deutete auf den Stuhl, den der Historiker eben freigemacht hatte.
»Natürlich«, murmelte ich.
Am Montag war ich einem Vampir begegnet. Am Dienstag einem Hexer, der sich in meinen Kopf zu bohren versucht hatte. So wie es aussah, war Mittwoch Dämonentag.
Obwohl ich auf dem College viele dämonische Verehrer gehabt hatte, wusste ich noch weniger über Dämonen als über Vampire. Kaum jemand schien sie zu verstehen, auch Sarah hatte meine Fragen zu diesen Geschöpfen nicht beantworten können. Bei ihr hatte es sich so angehört, als würden die Dämonen eine kriminelle Unterschicht bilden. Sie waren ungeheuer klug und kreativ und hatten keine Skrupel zu lügen, zu stehlen, zu betrügen oder sogar zu morden, einfach weil sie überzeugt waren, damit durchzukommen. Noch problematischer war aus Sarahs Sicht, unter welchen Bedingungen sie geboren wurden. Niemand konnte vorherbestimmen, wo oder wann ein Dämon schlüpfen würde, denn typischerweise wurden sie von menschlichen Eltern zur Welt gebracht. Für meine Tante besiegelte das ihren ohnehin minderwertigen Status in der Hierarchie der verschiedenen Geschöpfe. Sarah hielt große Stücke auf die uralten Familientraditionen und Stammbäume der Hexen und missbilligte die Launenhaftigkeit der Dämonen.
Anfangs beschränkte sich Agatha Wilson darauf, still neben mir zu sitzen und mir beim Teetrinken zuzusehen. Dann goss sie einen atemberaubenden Wortschwall über mir aus. Sarah hatte immer behauptet, dass man sich mit einem Dämon nicht unterhalten könne, weil sie ihre Gespräche grundsätzlich in der Mitte begannen.
»So viel Energie muss uns einfach auffallen«, bemerkte sie schließlich, als hätte ich ihr eine Frage gestellt. »Natürlich waren die Hexen zu Mabon in Oxford und haben geschwatzt, als wäre die Welt nicht voller Vampire, die alles mithören.« Sie verstummte kurz. »Wir waren nicht sicher, ob es je wieder auftauchen würde.«
»Was denn?«, fragte ich leise.
»Das Buch«, vertraute sie mir flüsternd an.
»Das Buch«, wiederholte ich tonlos.
»Genau. Nach dem, was die Hexen damit angestellt haben, hätten wir nicht geglaubt, dass wir es je wieder zu Gesicht bekommen würden.«
Die Dämonin hatte den Blick ins Leere gerichtet. »Natürlich sind Sie auch eine Hexe. Vielleicht ist es falsch, überhaupt mit Ihnen zu reden. Allerdings hätte ich gedacht, dass Sie von allen Hexen sich am ehesten ausrechnen könnten, wie sie es gemacht haben. Und jetzt lese ich das hier«, sagte sie traurig, griff nach der liegengelassenen Zeitung und reichte sie
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