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Seelen der Nacht

Seelen der Nacht

Titel: Seelen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Harkness
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zusammenreißen, um die Hand nicht auszuschütteln.
    »Dr. Shephard.« Wir standen zu dritt verlegen herum. Worüber unterhält man sich mit einem Vampir so früh am Morgen? Ich zog mich auf eine menschliche Plattitüde zurück. »Höchste Zeit, an die Arbeit zu gehen.«
    »Ich wünsche einen ergiebigen Tag.« Clairmonts Nicken war so kühl wie Miriams Begrüßung.
    Mr Johnson erschien neben mir, beladen mit meinem Stapel von grauen Manuskriptkartons.
    »Wir haben Sie heute wieder auf A4 gesetzt, Dr. Bishop«, sagte er und blies dabei selbstzufrieden die Backen auf. »Ich trage Ihnen die hier schnell nach hinten.« Clairmonts Schultern waren so breit, dass ich nicht erkennen konnte, ob auf seinem Lesetisch Manuskripte lagen. Ich unterdrückte meine Neugier und folgte dem Leiter des Lesesaals an meinen gewohnten Platz im Selden End.
    Clairmont saß zwar nicht mehr neben mir, trotzdem spürte ich seine Nähe, als ich meine Stifte herausnahm und den Computer einschaltete. Den Rücken dem leeren Raum zugewandt, griff ich nach dem ersten Karton, zog das ledergebundene Manuskript heraus und legte es in die Halterung.
    Bald war ich völlig in das vertraute Ritual des Lesens und Notizenmachens versunken und hatte nach nicht einmal zwei Stunden das erste Manuskript durchgearbeitet. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es noch vor elf war. Damit blieb vor dem Mittagessen noch Zeit für ein weiteres Manuskript.
    Das Manuskript im nächsten Karton war kleiner als das vorangegangene, dafür enthielt es interessante Darstellungen alchemistischer Apparate sowie Beschreibungen chemischer Prozesse, die sich wie eine makabre Mixtur aus Freude am Kochen und den Notizen eines Giftmischers lasen. »Nimm deinen Topf Quecksilber und lass ihn drei Stunden über einer Flamme simmern« , begann eine Anleitung,
»und wenn es sich dann mit dem Philosophischen Kinde vereint hat, dann nimm es und lass es verrotten, bis die Schwarze Krähe es dem Tode entgegenträgt.« Meine Finger flogen über die Tastatur und schienen mit jeder Minute Tempo zu gewinnen.
    Ich war darauf gefasst gewesen, heute von jeder erdenklichen Kreatur angestarrt zu werden. Doch als die Uhren eins schlugen, saß ich immer noch mehr oder weniger allein im Selden End. Der einzige andere Leser war ein älterer Student, der das rot-weiß-blaue Halstuch des Keble College trug. Deprimiert starrte er auf einen Stapel seltener Bücher, ohne sie auch nur aufzuschlagen, und knabberte laut klickend an seinen Nägeln.
    Nachdem ich zwei neue Ausleihzettel ausgefüllt und meine Manuskripte zusammengepackt hatte, stand ich, zufrieden mit meinem morgendlichen Pensum, auf und wollte zum Mittagessen gehen. Gillian Chamberlain durchbohrte mich mit strafenden Blicken, als ich an ihrem ungemütlich wirkenden Platz unter der alten Uhr vorbeikam, dann jagten mir die beiden Vampirinnen von gestern Eiszapfen in die Haut, und der Dämon aus der Musikbibliothek hatte zwei weitere Dämonen mitgebracht. Zu dritt demontierten sie ein Mikrofilmlesegerät; die Einzelteile lagen überall verstreut, und zwischen ihren Füßen kullerte unbemerkt eine Filmrolle über den Boden.
    Clairmont und seine Vampirassistentin saßen immer noch auf ihren Posten nahe der Ausleihtheke. Der Vampir hatte behauptet, dass all die Geschöpfe von mir angezogen würden, nicht von ihm. Doch ihr heutiges Verhalten schien ihn Lügen zu strafen.
    Während ich meine Manuskripte zurückgab, fixierte mich Matthew Clairmont mit kaltem Blick. Ich musste mich zwar gehörig anstrengen, doch ich schaffte es, ihn nicht zur Kenntnis zu nehmen.
    »Mit denen bist du durch?«, fragte Sean.
    »Ja. Zwei liegen noch an meinem Platz. Und es wäre toll, wenn ich diese beiden auch noch haben könnte.« Ich reichte ihm die Zettel. »Kommst du mit zum Essen?«
    »Valerie ist gerade unterwegs. Ich fürchte, ich muss vorerst die Stellung halten«, erklärte er bedauernd.

    »Dann beim nächsten Mal.« Ich nahm mein Portemonnaie und wollte schon losgehen.
    Clairmonts tiefe Stimme bremste mich. »Miriam, Mittagspause.«
    »Ich habe aber noch keinen Hunger«, antwortete sie in einem klaren, melodischen Sopran, der mit einem leicht ärgerlichen Tremolo unterlegt war.
    »Frische Luft ist gut für die Konzentration.« Der Befehlston in Clairmonts Stimme war unüberhörbar. Miriam seufzte laut, knallte den Stift auf den Tisch und tauchte aus dem Schatten auf, um mir zu folgen.
    Gewöhnlich verbrachte ich meine zwanzigminütige Mittagspause in der Buchhandlung

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